Die hohen Strompreise in Richigen machten im vergangenen Jahr schweizweit Schlagzeilen. Sie lösten jedoch auch einen Solarboom im Dorf aus, der bis heute anhält. Sieben Photovoltaikanlagen gab es bereits, 21 weitere sind seither in Rekordtempo gebaut und zum Teil bereits in Betrieb genommen worden, andere Anlagen sind in der Planungsphase. Da nun in Richigen bereits 37 % des Stroms aus erneuerbaren Energien gewonnen wird, entwickelt sich das Dorf sogar zu einem Vorzeigeprojekt. Einige Fragen gibt es dabei noch zu klären: Wie wird die Einspeisung des überschüssigen Stroms ins vorgelagerte Netz längerfristig vergütet und welche Fördermassnahmen der Gemeinde greifen?
Das Dorf Richigen verfügt über ein eigenes Elektrizitätswerk. Die Licht- und Kraftgenossenschaft (LKR), 1903 auf Initiative des damaligen Rössliwirts gegründet, besteht aktuell aus 57 Genossenschaftern und versorgt im Ort über 200 Kundinnen mit elektrischer Energie. Das funktionierte jahrzehntelang prächtig, vier Rappen günstiger als in Worb war der Strompreis durchschnittlich, bis dann die Strompreise im vergangenen Jahr an der Strombörse nur noch stiegen. Die LKR wartete in der Hoffnung auf sinkende Preise mit dem Zukauf und fand sich im Herbst 2022 in der unglücklichen Situation, den Strom zum vielfachen Preis wie bisher kaufen zu müssen. Statt bei 25,48 Rappen resultierte der neue Verkaufstarif bei 64,10 Rappen (ohne Mehrwertsteuer), ein Beispielpreis, der je nach Tarifmodell und Tageszeit variieren kann. Auf diesen Preis gewährt die LKR allen ihren Kunden eine Verbilligung um fünf Rappen, den sie aus dem Genossenschaftsvermögen finanziert. Die Berichterstattung über die hohen Strompreise machten Richigen schweizweit bekannt: «Strompreishölle der Schweiz» war in manchen Publikationen zu lesen. Ein Verkauf der LKR an einen grossen Stromanbieter wurde diskutiert, aber wieder verworfen. In Richigen stieg die Nachfrage nach Photovoltaikanlagen entsprechend an.
Rasche Hilfe: Die Solarheugümper
Dario Kaufmann, Planer von Solaranlagen, erfuhr von der Notlage in Richigen. Mit dem Projekt «Solarheugümper» bewarb er sich aktiv um einen Sammelauftrag im Dorf und gründete schliesslich die Firma gleichen Namens. Die Firma Solarheugümper bewerkstelligte, was niemand für möglich gehalten hätte. Im Ort wurde ein Zentrallager für alle Baustellen angelegt, alle Mitarbeitenden leisteten in einem Kraftakt Grosses: Innerhalb von nur fünf Wochen baute die Firma sieben Photovoltaikanlagen auf Richiger Dächern und inspirierte weitere Haubesitzerinnen, dem Beispiel zu folgen. Tatsächlich sind insgesamt bereits 28 Anlagen in Betrieb. Inzwischen hat die «Solarinitiative» aus Richigen ein Dorf mit Vorzeigecharakter gemacht, denn mehr als ein Drittel des Stroms wird mit Solarenergie produziert, es wird eine Gesamtproduktion von rund 485 Megawattstunden (MWh) pro Jahr generiert. Der jährliche Verbrauch von Richigen liegt bei 1300 MWh.
Richigens Weg in die Zukunft
Im Gespräch mit der Worber Post gaben Bendicht Hofmann und Stefan Hagen, beide Vorstandsmitglieder der LKR, Auskunft über die zukünftige Preisgestaltung und die Chancen und Herausforderungen für Richigen. Das dorfeigene Stromnetz gehört der Genossenschaft, doch das vorgelagerte Netz ist in den Händen der BKW und muss entsprechend bezahlt werden. Die LKR wird selbständig bleiben, arbeitet aber bereits jetzt mit anderen kleinen Energieanbietern im Emmental zusammen. Dies ist besonders beim Einkauf und bei Melde- und Deklarationsprozessen von Vorteil. Neuerdings spannt Richigen auch mit der Aargauer AEW Energie AG zusammen, von der sie Strom bezieht und bei der sie den überschüssigen Strom aus Richiger PV-Anlagen zurückspeisen und verkaufen kann. Generell gilt, dass der selbst produzierte Solarstrom möglichst innerhalb von Richigen weitergegeben und verbraucht werden soll. Für das kommende Jahr hat die LKR den Strom bereits einkaufen können, die Tarife 2024 sind daher bereits abschätzbar, sie werden zwischen 40 und 45 Rappen liegen. Wie es mit der Stromproduktion im Dorf weitergeht, wird sicher auch vom zukünftigen Strompreis abhängen. Die LKR hat bereits 2012 in Zusammenarbeit mit der BFH, der Berner Fachhochschule in Biel, Abklärungen zu Alternativen durchführen lassen, doch weder Windenergie noch Biogas eignen sich gemäss dieser Studie für den Standort Richigen.
Die Rolle der Gemeinde Worb
Gemäss ihrer Leitsätze ist die Gemeinde Worb Vorbild in umweltverträglicher Energienutzung. Sie orientiert sich an den Zielen der kantonalen Energiestrategie und betreibt die Umsetzung der kommunalen Energiestrategie kontinuierlich und konsequent. Worb bezeichnet sich als Energiestadt, und gemäss ihrer Website «koordiniert und optimiert die Gemeinde die Abläufe für die Umsetzung von Energiemassnahmen und verstärkt den Einsatz erneuerbarer Energien». Die publizierte Energiestrategie soll demnächst überarbeitet werden, obwohl die Gemeinde auf gutem Weg ist, zwei der formulierten Zwischenziele zu erreichen: Der Anteil Strom und Wärme aus erneuerbaren Energien konnte gesteigert werden, doch das dritte Ziel, den Gesamtstrombedarf zu senken, wird bis 2025 voraussichtlich nicht erreicht. Im 2022 verringerte sich der Stromverbrauch nur geringfügig und wird aufgrund der erwarteten Umrüstungen auf Wärmepumpen und der Anschaffung von Elektroautos in Zukunft wieder steigen.
Die Gemeinde Worb erhebt eine Gemeindeabgabe von 2 Rappen pro Kilowattstunde (max. CHF 300.– pro Jahr), davon fliessen 0,5 Rappen in den Fördertopf für PV-Anlagen und weitere Massnahmen im Energiebereich. «Noch vor wenigen Jahren hätten die CHF 100 000.– für erneuerbare Energien ausgereicht. Die Höhe der Förderbeiträge wurde auf der Grundlage der Daten von 2015 bis 2020 festgelegt. Die dramatische Entwicklung der Preise im 2022 konnte niemand vorhersagen», sagt Adrian Hauser, Vorsteher des Departements Umwelt. In der Folge war der Fördertopf 2023 bereits wenige Tage nach seiner Publikation ausgeschöpft, 24 Anlagen konnten mit dem Geld subventioniert werden, auch in Richigen. Das Bedürfnis nach finanzieller Unterstützung der Gemeinde, neben den Förderbeiträgen durch die Pronovo des Bundes, wäre in Worb gross, und dass nur wenige Hausbesitzer in den Genuss der Gelder aus dem Fördertopf kamen, sorgte für Kritik. Den Antrag Richigens auf einen Erlass der 2 Rappen Gemeindeabgabe lehnte der Gemeinderat ab. «Einen Parlamentsbeschluss kann man nicht einfach ausser Kraft setzen», sagt Silvia Berger vom Departement Umwelt. Man habe keinen Handlungsspielraum gehabt. Der Gemeinderat hat aber auf die Kritik reagiert und die Verordnung, welche die Höhe der Förderbeiträge regelt, per 1. April 2023 angepasst. Statt wie bisher mit 2⁄3 unterstützt die Gemeinde eine PV-Anlage nur noch mit ¼ des Pronovo- Förderbeitrags des Bundes, denn die Marktwirtschaftlichkeit einer PV-Anlage ist mit den höheren Strompreisen gestiegen. So sollen zukünftig deutlich mehr Hausbesitzerinnen vom Fördertopf profitieren.
Soweit möglich geht die Gemeinde bei den eigenen Bauten mit gutem Beispiel voran und rüstet gemeindeeigene Gebäude mit PV-Anlagen aus oder stellt Dachflächen zur Verfügung. Besonders grosse Einsparungen konnten bei der öffentlichen Beleuchtung erzielt werden: Dank der Umrüstung auf LED-Lampen sank der Verbrauch von 436 000 auf 113 000 kWh pro Jahr, wobei der Bund die Erneuerung finanziell unterstützte. Die Helligkeit der Lampen wird auf Kantonsstrassen nach Tageszeit gesteuert. Zudem wurden auf den meisten Schulen und Kindergärten bereits PV-Anlagen erstellt oder sind in Planung. Das Schulhaus Richigen muss allerdings noch warten, denn das Dach ist sanierungsbedürftig und soll innerhalb der nächsten 10 Jahre erneuert und dabei energetisch umgerüstet werden.
Aktives Gestalten erwünscht
Die Diskussion um den Beitrag der Gemeinde Worb zur Förderung erneuerbarer Energien ist auch unter den politischen Parteien noch immer im Gang. In einem Postulat fordern die Parteien SP und Grüne, FDP, die Mitte und die Grünliberalen eine vertiefte Abklärung zur Machbarkeit von PV-Anlagen auf öffentlichen Gebäuden sowie zu alternativen Speichermöglichkeiten. Es sollten ein Zeitplan für die Realisierung erarbeitet und Analysen zur Wirtschaftlichkeit erstellt werden. Auch wird mehr Transparenz gewünscht, indem die Energiestatistik der Gemeinde Worb in der Öffentlichkeit sichtbar gemacht wird. In der Gemeinderatssitzung vom 15. Mai wurde das Postulat von allen Parteien einstimmig als erheblich erklärt. Die Gemeinde Worb ihrerseits nimmt das Postulat entgegen und bekräftigt ihre Absicht, im Rahmen ihrer Möglichkeiten die erneuerbare Energieproduktion zu fördern.
Einigkeit überwiegt
Die Richiger Bevölkerung war immer stolz auf ihren starken Zusammenhalt. Während der Krisenmonate im vergangenen Herbst informierte die LKR an Versammlungen im Restaurant Rössli, es gab heftige Diskussionen, aber am Ende wurde dann doch fast immer einstimmig entschieden. Stefan Hagen sagt: «Wir sind erstaunt, dass Richigen jetzt schon fast bei den 40 % erneuerbarer Energie angekommen ist, die vom Bund mit der Energiestrategie 2050 als Ziel formuliert wurden. Der Aufwand ist kollektiv gesehen nicht einmal so riesig, um einen Drittel der benötigten Energie im Dorf selber produzieren zu können.» Bendicht Hofmann ergänzt: «Die Krise hat unsere Denkweise sicher etwas verändert. In Richigen entwickelte man eine Wertschätzung für Energie und wurde für den Energieverbrauch sensibilisiert. Im Herbst 2023 hätte keiner geglaubt, dass das Dorf in so kurzer Zeit so viel Energie selber produzieren kann. Dies ist eine ausserordentliche Leistung, zu welcher jeder Einzelne im Dorf seinen Möglichkeiten entsprechend beiträgt.» KS