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Touristische Postkarte 1920er Jahre. Worb wird als idyllisches Bauerndorf dargestellt. Moderne Bahnanlagen und Industriegebäude sind ausgeblendet. Bild: Bilddatenbank IG Worber Geschichte

Worb im Jahre 1924: Eine Zeitreise

Worb 1924: so nah und doch so fern! Einerseits taucht viel Bekanntes auf: die acht Ortschaften, die Strassennamen, die vielen Familiennamen mit den Gfeller, Bernhard und anderen. Und doch gibt es Unbekanntes und Vergessenes: Was war die «Partei der Festbesoldeten»? Was waren die Käfervögte? Die Gemeinderatsprotokoll von 1924 und die über 100 Worb betreffenden Artikel in der Zeitung «Der Bund» erlauben eine Reise in eine doch nicht so ferne Zeit.

Die Welt, in der die Worberinnen und Worber 1924 lebten, unterscheidet sich stark, aber nicht fundamental von heute. Das Ende des Ersten Weltkriegs, der Landesstreik und die Grippe von 1918 lagen gerade mal gut fünf Jahre zurück und prägten noch stark die Zeitgenossen. Zwar hat man sich im Frieden bereits gut eingelebt; die soziale und wirtschaftliche Not, welche vor allem in den letzten Kriegsjahren von 1916 bis 1918 herrschten, war zu einem grossen Teil überwunden; die letzten Notstandsmass­nahmen wurden beseitigt. In Worb wurde beispielsweise am 21. März die Suppenanstalt abgeschafft, die in vielen Ortschaften, vor allem in den Städten, zur Speisung der verarmten Menschen, allen voran aus den schwächeren Bevölkerungsschichten, eingerichtet worden waren. Der Konjunkturmotor sprang wieder an, wie die zahlreichen Gesuche von Betrieben um Überzeitgenehmigung belegen. Sie wurden vom Worber Gemeinderat alle genehmigt.

Die Gemeinde 1924
Die Gemeinde Worb stand noch unter dem Eindruck der neuen Gemeindeorganisation. Per 1. Januar 1921 wurden die vier uneinheitlich organisierten Ortsgemeinden aufgehoben und in eine einheitliche Einwohnergemeinde überführt. Einzig die Ortsgemeinde Richigen trauerte dem alten System nach. Deren Präsident Ernst Marti meinte etwa, die Richiger hätten «ganz gut ohne Zentralisation auskommen können». Die drei wohlhabenden Burgerkorporationen Worb, Richigen und Vielbringen blieben bestehen, unterstanden aber der Aufsicht des Gemeinderats.

Der Gemeinderat umfasste 15 (!) Mitglieder, nicht zuletzt darum, weil damit alle Ortschaften und die untergegangenen Ortsgemeinden angemessen vertreten waren. Der Gemeinderat als Exekutive wurde, vor allem auf Druck der Sozialdemokraten, im Proporz gewählt, zum ersten Mal im Januar 1921. 1924 war somit das letzte Amtsjahr der vierjährigen Legislatur. Die Geschäfte wurden durch ein Büro vorbereitet, das die Arbeit der Exekutive steuerte und erheblich beeinflusste. Es gab keine Departemente, dafür elf ständige Kommissionen, welche der Gemeinderat nach dem parteipolitischen Proporz wählte. Alle Ämter, auch die fest angestellten Gemeindeangestellten, einschliesslich der Lehrerinnen und Lehrer, waren von der Gemeindeversammlung für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt. Er bestand aus zehn bürgerlichen Vertretern der Bauern-, Bürger- und Gewerbepartei und Freisinnigen, die gemeinsam auftraten, aus drei Sozialdemokraten sowie einem Vertreter der «Vereinigung der Festangestellten». Erster Gemeinderatspräsident und Vorsitzender der Exekutive (entspricht dem heutigen Gemeindepräsidenten) war Gottfried Bernhard (Worb). Daneben gab es das Amt des «Gemeindepräsidenten», welcher der Gemeindeversammlung (Legislative) vorstand, sowie eine vierköpfige Geschäftsprüfungskommission, die ebenfalls an der Urne gewählt wurde.

1924 fanden drei Gemeindeversammlungen statt. An der ausserordentlichen Versammlung vom 17. Mai wurde die Rechnung 1923 genehmigt und drei Männer (samt deren Ehefrauen und Kinder) ins Bürgerrecht aufgenommen:  der kinderlose Elsässer und Maschinist der Bern-Worb-Bahn Johann Alfred Brobecker (*1879) sowie die beiden Deutschen aus dem Grossherzogtum Baden Bernhard Moog, Vater (*1869), und in einem separaten Verfahren der bereits volljährige Sohn und Sattler Fritz (*1904). Am 18. Oktober wurde die Bauabrechnung für das Schulhaus Wattenwil-Bangerten genehmigt und nach der vierjährigen Amtsperiode wurden alle Gemeindeangestellten ohne erneute Ausschreibung wiedergewählt. Die ordentliche Gemeindeversammlung vom 27. Dezember genehmigte schliesslich das Budget 1925 und legte – quasi als Nachwehen der Zentralisierung der Gemeinde – fest, dass die Amtszeit aller Ämter am 1. Januar 1921 begann und die Amtszeiten vor 1921 in den damaligen Orts- und Schulgemeinden nicht zählten.

Der Gemeinderat versammelte sich in der Regel monatlich am 1. und 3. Samstagnachmittag in seiner Amtsstube im Bären. Er entschied über die Anträge aus den ständigen Kommissionen, setzte Spezialkommissionen, meistens aus den eigenen Reihen, ein und delegierte einzelne Ratsmitglieder für die verschiedensten Aufgaben. Der grösste Teil der Gemeindearbeit wurde noch im Milizsystem geleistet. Festangestellte waren neben den wenigen Lehrerinnen und Lehrern der Volksschule nur der Gemeindeschreiber Gottfried Zurbuchen, der Gemeindekassier, zwei Angestellte, eine Lehrtochter, zwei «Wegknechte» (heute Werkhof) sowie der Abwart des Primarschulhauses. Daneben gab es einige Teilzeit- und im Stundenlohn Angestellte. Die Sekundarschule, die Handwerkerschule (Berufsschule) und die Mädchenfortbildungsschule waren Privatschulen, wurden aber wie das Knabenerziehungsheim Enggistein von der Gemeinde aus der Gemeindekasse unterstützt.

Finanziell ging es der Gemeinde gut. So konnte die Gemeinde schon im Januar eine Anleihe der ehemaligen Schulgemeinde Rüfenacht-Vielbringen in der Höhe von Fr. 22 000.– zurückzahlen und kassierte bei der Auflösung des Armenguts der Herrschaft Worb aus der Zeit vor 1798 (!) einige Tausend Franken. An der von 85 Stimmberechtigten besuchten Gemeindeversammlung vom 27. Dezember (Budget) konnte der Steuerfuss («Tellansatz») für die Vermögenssteuer von 3,7 % auf 3,6 %, die Einkommenssteuer der 1. Klasse von 5,55 % auf 5,4 % und der 2. Klasse von 9,25 % auf 9 % gesenkt werden, obwohl das Budget bei Einnahmen von Fr. 313 225.– und Ausgaben von Fr. 339 645.– ein Defizit von Fr. 26 420.– vorsah. Zudem erhielten die Gemeindeangestellten eine Reallohnerhöhung sowie individuelle Gratifikationen.

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Kommunale Infrastruktur
Wie bei der Behördentätigkeit, die erst ansatzweise professionalisiert war, lag auch die Infrastruktur weitgehend in privaten Händen. Der Erste Weltkrieg hatte mit den massiven staatlichen Interventionen auf Bundes- und Kantonsebene, etwa im Bereich der Wirtschaft (Kriegswirtschaft) und der Ernährung (Rationierung) zur massiven Erweiterung der Staatstätigkeit geführt. Zwar waren die kriegswirtschaftlichen Massnahmen 1924 schon weitgehend abgebaut, aber die Erwartungen an die Dienstleistungen der öffentlichen Hand stiegen, nicht zuletzt wegen der erstarkten Arbeiterschaft mit ihren wohlfahrtsstaatlichen Vorstellungen. In Worb setzten die Modernisierung und der Ausbau der Infrastruktur durch die Gemeinde ein. Zudem gelangte der Gemeinderat immer wieder an übergeordnete Instanzen für den Ausbau des «Service public»: an den Kanton (z.B. für den Strassenausbau) und an die Post. So erreichte der Gemeinderat von der Kreispostdirektion, dass das Telefon- und Telegrafenbüro in Worb auch am Sonntag geöffnet war und die ersten oberirdischen Telefonkabel in den Boden verlegt wurden. Dem Wunsch der Post nach einem grösseren Postlokal konnte er mangels Räumen hingegen nicht nachkommen.

Die noch privat organisierte Wasserversorgung erwies sich zunehmend als ungenügend. 1924 wurde die Planung für eine kommunale Wasserversorgung im Dorf Worb an die Hand genommen. Es war zuerst vorgesehen, dafür das Wasser der Brauerei Egger und der Brunnengenossenschaft Worb zu verwenden. Der aus Bern beigezogene Experte A. Brunschwyler hielt die verfügbare Wassermenge aber für zu gering und schlug stattdessen vor, die neue Wasserversorgung mit Grundwasser und Worblenwasser zu speisen. Ende Jahr waren noch keine Beschlüsse gefasst. Hingegen übernahm die Gemeinde private Kanalisationen, so an der
Eggasse.

Das grösste Bauprojekt der Gemeinde war der Neubau des Schulhauses Wattenwil-Bangerten. Nach einigen Bauverzögerungen konnte es schliesslich am 18. Mai eingeweiht werden. Die Bauabrechnung lautete auf Fr. 128 714.–; budgetiert waren Fr. 131 200.– Sie wurde durch einen externen Revisor speziell revidiert, da Gemeinderat und Architekt Fritz Könitzer einen grossen Teil der Arbeiten gleich selber ausführte. Daneben bewilligte der Gemeinderat zahlreiche kleinere Bauprojekte, so etwa die Erweiterung und Neugestaltung des Friedhofs sowie die Renovation des von Landjäger Nyffenegger bemängelten Gemeindearrestlokals.

Ein Dauerthema im Gemeinderat war die Feuerwehr, deren Rechnung für 1923 zum Ärger des Gemeinderats defizitär war. Schon zu Jahresbeginn und dann auch während des Jahres wollten zu viele Kaderleute die Feuerwehr verlassen, da sie «feuerwehrmüde» seien. Sie wurden vom Gemeinderat inständig gebeten, doch noch zu bleiben. Einige machten weiter, aber nicht alle. Die Rekrutierung von Nachfolgern war mühsam. So lehnten im Januar drei Kandidaten die Übernahme des Amtes des Brandmeisters von Richigen ab. Zudem war das Material veraltet. Die Feuerwehrkommission stellte schon zu Jahresbeginn den Antrag, den alten und schweren Mannschaftswagen zu ersetzen. Aber bis Ende Jahr geschah nichts. Stattdessen sicherte sich die Gemeinde vertraglich den Einsatz von Lastwagen mehrerer einheimischer Firmen, so etwa der Grossmosterei Worb und der Brauerei Egger. Diese Lösung bewährte sich jedoch nicht: Als am 6. Juli der Wohnstock des Fritz Schneider im Laichbach bei Wattenwil niederbrannte, klappte der Alarm nicht und der eingemietete Lastwagen war mit der Spritze viel zu spät vor Ort. Der erzürnte Gemeinderat verlangte von der Feuerwehrkommission «sofortige Remedur». Im Wissen um diese Schwächen hatte die Versammlung der Gebäudebesitzer am 24. März beschlossen, aus ihrem üppig dotierten Fonds für die entlegenen Gehöfte 100 Feuerlöscher zu beschaffen und die Hälfte der Kosten zu übernehmen.

Der Gemeinderat war, unterstützt durch die kantonale Sanitätsdirektion, den Kantonsarzt und die örtlichen Ärzte, auch für das Gesundheits- und Hygienewesen in Worb verantwortlich. So verlangte er vom Rössliwirt Stettler in Richigen, dass er endlich fliessendes Wasser zum Spülen der Gläser in die Gaststube führe. Er büsste den Löwenwirt Herman Bernhard einmal wegen gepanschtem Rum und einmal zusammen mit vier Landwirten wegen unreinem Milchgeschirr. Worb hatte sogar einen offiziellen «Gemeindedesinfektor» – und betrieb einen eigenen Leichenwagen. Im Mai brachen in den unteren beiden Schulklassen die Pocken aus. Auf Anordnung der kantonalen Sanitätsdirektion wurde die Zwangsimpfung aller Lehrer und Schüler angeordnet. Zur Förderung der persönlichen Hygiene standen in der neuen Turnhalle die Badegelegenheiten auch der Öffentlichkeit zur Verfügung. Um die Frauen kümmerte sich als «Bademeisterin» Marie Schütz, die Tochter des Abwarts.

Gemeindewahlen für die Legislatur 1925 – 1928
Am 1. Dezember fanden die zweiten ordentlichen Gemeindewahlen statt, zum ersten Mal am Schluss der vierjährigen Legislatur. Die Wahlen für die Periode 1921 bis 1924 waren erst am 23. Januar 1921 kurz nach Inkrafttreten der neuen Gemeindeordnung am 1. Januar durchgeführt worden. Von den 1178 stimmberechtigten Männern nahmen 901 an der Urnenabstimmung teil (Stimmbeteiligung 76,5 %). Wieder schwang die gemeinsame bürgerliche Liste der BGB/FDP mit einem Stimmenanteil von 60,1 % und 9 Sitzen (-1 Sitz) obenaus, gefolgt von der SP mit 29,3 % und 4 Sitzen (+1 Sitz) und der Vereinigung der Festangestellten mit 10,6 % und einem Sitz (unverändert). Von den 15 Mitgliedern des Gemeinderats waren nur sechs Bisherige. Als Gemeinderatspräsident wurde der bisherige Amtsinhaber Gottfried Bernhard bestätigt. Als Präsident der Gemeindeversammlung («Gemeindepräsident») wurde neu der technische Leiter Oswald Hämmerli und als sein Vize der Verwalter der Anstalt Enggistein, Fritz Lüthi, gewählt. Ebenso wurden die vier Mitglieder der Geschäftsprüfungskommission gewählt.

Im Rückblick auf das Jahr 1924 kam Gemeindeschreiber Gottfried Zurbuchen am Schluss der Gemeindeversammlung vom 27. Dezember ins Schwärmen. Er erklärte, die Zentralisierung der Gemeinde sei ein organisatorischer und finanzieller Erfolg. Seit 1921 habe die Gemeinde mit der Turnhalle, dem Schulhaus Wattenwil-Bangerten und zahlreichen Strassenarbeiten mehrere grosse Werke erstellt. Die Schulden hätten aber nicht zugenommen, im Gegenteil. Zudem habe das Gemeindevermögen dank den Investitionen zugenommen – und die Worberinnen und Worber konnten dazu noch steuerlich entlastet werden. Davon kann Worb 2024 nur träumen… Marco Jorio

Fortsetzung folgt.

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