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Chor der reformierten Kirche. Bild: S. Mathys

500 Jahre Worber Kirchenscheiben

Den Besucherinnen und Besuchern der reformierten Kirche Worb fallen wohl als Erstes die leuchtend farbigen Kirchenscheiben im Chor auf. Drei Bischöfe knien vor der Muttergottes mit Kind. Wie konnten diese «katholischen» Scheiben den Bildersturm der Reformation überhaupt überleben?

Gleich achtmal prangt von den farbigen Wappenscheiben im Chor die Jahrzahl 1521. Die prachtvollen Glasscheiben sind also dieses Jahr genau 500 Jahre alt. Aber wie kamen sie in die Kirche? Wer sind die dargestellten Personen? Und warum haben sie den Bildersturm der Berner Reformation von 1528 überlebt, der sieben Jahre später den grössten Teil der mittelalterlichen Kirchenkunst kreuz und klein schlug? Die Geschichte der Scheiben ist nur vor dem Hintergrund der rechtlichen Besitzverhältnisse zu verstehen, die an der Kirche in Worb herrschten.

Wem gehört die Kirche?
In der Spätantike und im frühen Mittelalter errichteten reiche Grundbesitzer Pfarrkirchen und Klöster und betrachteten diese als ihr Eigentum, über das sie frei verfügen konnten. Sie setzten auch ohne Mitwirkung der kirchlichen Oberen Äbte, Pfarrer und Priester ein. Gegen diese Form der Laienherrschaft, das sog. Eigenkirchenwesen, wehrte sich im Hochmittelalter zunehmend die Amtskirche. Die beiden Laterankonzilien von 1123 und 1139 verboten das Laieneigentum an den Kirchen, wagten aber nicht, die Gründerfamilien der Kirchen ganz zu enteignen. Sie führten das sog. Patronatsrecht (ius patronatus) ein, in unseren Gegenden auch Kirchensatz oder Kollatur genannt. Dieses beliess den früheren Eigentümern, die nun «Patrone» (Schutzherren) oder Kilchherren oder Kollatoren genannt wurden, eine Reihe von Rechten, aber auch Pflichten.

Das wichtigste Recht war das Vorschlagsrecht, das heisst der Patronatsherr durfte dem örtlichen Bischof einen Kandidaten für das Pfarramt vorschlagen. Eingesetzt wurde der neue Amtsträger aber vom Bischof. Daneben hatte der Patronatsherr einige Ehrenrechte: einen besonderen Sitzplatz in der Kirche, Totengeläute, Erwähnung bei den Fürbitten während der Messe und – für Worb besonders wichtig – das Recht auf Bestattung in der Kirche. Umgekehrt hatte der Patronatsherr Pflichten: Er musste das Kirchengebäude, oft auch das Pfarrhaus, unterhalten und das Gehalt des Pfarrers sicherstellen. Das Patronatsrecht konnte vom Inhaber verkauft, verpfändet, vererbt oder getauscht werden.

Bis zur Reformation hatte sich das Patronatsrecht überall durchgesetzt. Die Reformatoren mochten die Inhaber der Patronatsrechte nicht enteignen. In Bern waren ohnehin zahlreiche Ratsherren Inhaber von Patronatsrechten, so auch in Worb, wo die Schlossherren auch gleichzeitig «Kilchherren» waren und somit einen grossen Einfluss auf das kirchliche Leben in Worb ausübten. Zur Zeit der Reformation war das die Familie von Diesbach, die auch die Glasscheiben stiftete.

Die Diesbach als «Kilchherren»
Um 1500 gehörten die von Diesbach zu den mächtigsten Ratsfamilien der Stadt Bern. 1414 wird der Goldschmied, Leinwandhändler und Bankier Niklaus erstmals in Bern erwähnt. Er baute zusammen mit Hugo und Peter von Watt aus St. Gallen die Diesbach-Watt-Gesellschaft auf, die von Spanien bis Polen Handel trieb, wodurch die Familie unermesslich reich wurde. Ein später geborener Niklaus von Diesbach erwarb 1469 die ganze Herrschaft Worb. 1506 fiel auch das Patronatsrecht an die Familie; 1512 nennt sich Wilhelm von Diesbach «collator der pfrund und pfarrkilchen zu Worb».

Wie alle mächtigen Familien der damaligen Zeit hatten auch die von Diesbach ein grosses Bedürfnis nach Repräsentation. Niklaus von Diesbach hatte bereits 1472 das Schloss zu einer standesgemässen Residenz umbauen lassen. Da wollte man sich auch als Kilchherren nicht lumpen lassen. Im Rahmen ihres Patronatsrechts, das auch eine Baupflicht enthielt, ersetzten die Diesbach 1520 den bescheidenen, rechteckigen und spätromanischen Altarraum durch einen prächtigen, dreiseitig geschlossenen Chor im spätgotischen Stil. Er weist einen eigenen Eingang auf der Nordseite, der vermutlich dem Patronatsherren vorbehalten war, sowie einen Zugang zur Sakristei auf der Südseite auf. Überspannt wird der ganze Raum von einem gotischen Rippengewölbe. Eine Kredenznische und ein Wandtabernakel weisen auf die anfängliche Nutzung des Chors als katholischen Altarraum hin. Ein Jahr später wurden die reich bemalten Glasfenster eingesetzt.

Mit der Reformation änderte sich die Nutzung der Kirche, die auch in Worb ausgeräumt wurde: Die Altäre wurden entfernt und die Wandmalereien übertüncht. Die Fenster, sowohl im Chor wie im Kirchenschiff, beliess man trotz ihres katholischen Charakters. Zum einen waren Verglasungen sehr teuer, zum andern dürfte sich der Patronatsherr geweigert haben, eine soeben getätigte grosse Investition zu zerstören. Die Kirche wurde aufgrund der Rechtsverhältnisse in zwei Räume geteilt: Das Kirchenschiff als Versammlungsraum der Kirchgemeinde blieb im Besitz der Kirchgemeinde; der Chor war Besitz des Patronatsherrn, der diesen später mit einer Wand vom Kirchenschiff abtrennte und als familieneigene Grabkapelle benützte. So entstanden die schönen Grabplatten, die heute unterhalb der Kirche aufgestellt sind. Erst nach dem liberalen Umsturz von 1830 wurden 1840 die Kirchenpatronate im Kanton Bern aufgehoben und die Trennwand zwischen Chor und Kirchenschiff beseitigt. 1983/84 erfolgte die Gesamtrestauration.

Die Chorfenster von 1521
Der Chor bzw. Altarraum wird durch fünf hohe, spitzwinklige Fenster erleuchtet. In den mittleren drei sind die farbigen Glasfenster von 1521 eingelassen. Das zentrale Chorfenster bildet die Darstellung der gekrönten Gottesmutter Maria mit Kind. Sie steht blau gewandet, mit einem roten Unterkleid auf einer Mondsichel. Die langen, blonden Locken fallen von ihrem Haupt mit Heiligenschein auf das faltenreiche Gewand. In ihren Armen hält sie das nackte Chistuskind. Die Kunsthistoriker weisen das Kunstwerk der Werkstatt des Lukas Schwarz zu, der zwischen 1498 und 1526 in Bern tätig war. Die Worber Madonnenscheibe zählt gemäss dem Kunsthistoriker Hans Lehmann «zu den allerschönsten Madonnenfiguren aus jener Zeit».

Unterhalb der Muttergottes sind über drei Chorfenster drei Scheibenpaare eingelassen. Sie zeigen drei kniende Bischöfe in vollem Ornat, die ehrfürchtig das Christuskind anbetend zur Muttergottes aufblicken. Ihnen sind ihre Familienwappen mit Bischofsstab gegenübergestellt. Die drei Bischöfe stehen in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zur Familie von Diesbach. Trotz des frommen Anscheins geht es den Stiftern der Scheiben primär um den Ruhm der Familie. Man ist nicht nur mächtig als Berner Ratsherren und Worber Twingherren, auch in der Kirche haben Familienangehörige die höchsten Ämter erreicht und das will man zeigen.

Im nordöstlichen Fenster ist der Konstanzer Bischof Ludwig von Freiberg (1442–1479) zu sehen, dessen Schwester die dritte Gattin von Wilhelm von Diesbach (1472–1517) war. Die Auftraggeber der Scheibe scherten sich nicht darum, dass die Rechtmässigkeit von Ludwig von Freiberg umstritten war. Eigentlich war er nur Koadjutor (Weihbischof). Im Konstanzer Bistumsstreit (1474–1480) konnte sich der von Papst Sixtus IV. ernannte und vom Habsburgerherzog Sigismund von Österreich unterstützte Ludwig von Freiberg nicht gegen den vom Domkapitel gewählten und von den Eidgenossen unterstützten Otto von Sonnenberg durchsetzen.

Das Scheibenpaar im zentralen Chorfenster, gleich unter der Madonna mit Kind, wurde vom Lausanner Bischof Sébastien de Montfaucon (1489–1560) gestiftet. Er war der Schwager des Christoph von Diesbach (1483–1522) und wurde 1513 von Papst Leo X. zuerst zum Koadjutor seines bischöflichen Onkels Aymon von Montfaucon und dann 1517 zum Bischof von Lausanne ernannt. In dieser Eigenschaft war er zuständig für den Staat Bern links der Aare, u.a. auch die Stadt Bern mit dem Münster. Er bekämpfte ab 1525 die Reformation in der Waadt und flüchtete bei der Eroberung der Waadt 1536 ins katholisch gebliebene Herzogtum Savoyen. Er vermerkte im Gegensatz zu seinen beiden anderen abgebildeten Amtsbrüdern stolz, dass er nicht nur Bischof, sondern auch «comes ac sacrij Imperii Princeps», das heisst Graf und des Heiligen Römischen Reiches Fürst war.

Der Dritte im Bund ist im südöstlichen Chorfenster Niklaus von Diesbach (1478–1550), der einzige richtige Diesbach. Er war der Sohn des Ludwig von Diesbach (1452–1527). Er studierte in Paris und Pavia und war Propst des St. Ursenstifts in Solothurn. Der Herzog von Savoyen verhinderte 1510 seine Wahl zum Bischof von Lausanne. 1516 wurde er Domherr in Basel und 1519 Koadjutor (Stellvertreter) des Bischofs von Basel, Christoph von Utenheim. 1527 demissionierte er als Koadjutor und lebte bis zu seinem Tod kurz danach in Grandson, wo er Propst war.

Unter den Bischofsdarstellungen im nordöstlichen und südöstlichen Chorfenster sind vier Wappenscheiben von nicht-kirchlichen Angehörigen der Familie Diesbach angebracht. Auf allen Scheiben erscheint das Wappen der Diesbach: auf schwarzem Grund ein fünfmal geknickter, goldener Rechtsschrägbalken begleitet von zwei schreitenden goldenen Löwen. Die gleiche Darstellung findet sich bei der Doppelwappenscheibe des Basler Bischofs Niklaus von Diesbach, aber auch im Schloss Worb beim Eingang zur Wendeltreppe im 1.Stock, welche zu den oberen Wohngeschossen führt. Das Diesbach-Wappen erhielt Niklaus von Diesbach 1434 vom römisch-deutschen Kaiser Sigismund verliehen. Über dem Wappen findet sich bei allen ein goldener Spangenhelm mit einem Helmkleinod, das immer einen goldenen Löwen mit einer fünfzackigen und mit Kugeln geschmückten Adelskrone zeigt. Damit demonstrieren die Diesbach ihre Zugehörigkeit zum Adel.

Die übrigen Kirchenfenster
Neben den Werken von 1521 finden sich im Chor vier Glasfenster aus den folgenden Jahrhunderten. Im zentralen Chorfenster sind zwei Wappenscheiben den späteren Schloss- und Patronatsherren Christoph I. von Graffenried (1726) und Christoph III. von Graffenried (1730), dem Gründer von New Bern gewidmet. Sie zeigen das Graffenried-Wappen überhöht mit einer Freiherrenkrone: in Gold einen brennenden schwarzen Baumstamm mit roten Flammen beidseits mit zwei roten Sporenrädchen und überhöht vom Leitspruch «Lucet et ardet» («es leuchtet und brennt»). Die beiden Glasscheiben im südlichen Fenster des Chors stammen aus dem 20. Jahrhundert. Die linke stiftete 1922 Johann Walter von Herrenschwand, der damalige Besitzer des Neuschlosses, die rechte liess Thomas von Graffenried 1926 zu Ehren seines Vorfahren Christoph III. anbringen. Aus der Zeit um 1521 stammen auch die vier Glasscheiben im Kirchenschiff: zwei Madonnen mit Kind, der heilige Christophorus und der heilige Petrus. MARCO JORIO

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