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Der Kindermordende Götze Moloch, Holzstich aus der Worber Lutherbibel. Bild: S. Mathys

Der Moloch: Eine Horrorgeschichte in der Worber Lutherbibel

Dass das Alte Testament nicht nur fromme Geschichten erzählt, dürfte inzwischen allgemein bekannt sein. Gewalt und eine Blutspur durchziehen die verschiedenen biblischen Bücher. Eine der grausamsten Geschichten handelt vom Moloch, dem kindermordenden Götzen in der Kultur der Phönizier und Kanaaniter. Wir in Bern kennen diese Art von Monster in der Form des Chindlifrässerbrunnens, der im letzten Monat für Schlagzeilen sorgte.

Gewalt und gewalttätige Menschen faszinieren und perverse Gewalttäter erst recht. Davon zeugen Abertausende von Kriminalromanen, Horrorfilme und eine unüberschaubare Zahl von Erzählungen über Kriminelle und ihre bösen Taten. Dieser Faszination erliegen zuweilen auch Theologen, so auch die beiden Basler Pfarrer Friedrich Battier (1659–1722) und Theodor Gernler (1670–1723), die 1720 im Verlag von Emanuel Thurneysen eine kommentierte Ausgabe der Lutherbibel herausgaben. Diese wurde im 18. Jahrhundert vier Mal nachgedruckt; die letzte Ausgabe erschien 1798, im Jahr der französischen Aggression und Besetzung der Schweiz. Ein Exemplar kam vor zwei Jahren an die IG Worber Geschichte und wurde in der Worber Post vorgestellt (s. WoPo 3/22 und 12/22).

Eine Sonderseite für das Monster
Die Lutherbibel ist nur spärlich illustriert. Die wenigen Bilder, alles Holzstiche, behandeln fast ausschliesslich alttestamentarische Themen, darunter den Moloch; das Neue Testament ist mit Ausnahme einer Pharisäerdarstellung unbebildert. Die illustrierten Seiten wurden als Einlegeblätter ausserhalb der ordentlichen Paginierung in die Bibel eingefügt und haben daher keine Seitenzahl. Das doppelseitige Molochblatt kam zwischen die Seiten 96 und 97 zu stehen.

Die bildliche Darstellung zeigt den Moloch als sitzendes oder stehendes Wesen mit einem Kuhoberkörper und einem offenen, runden Ofen mit brennendem Feuer – ähnlich einem Pizzaofen. Drei kreisrunde Treppenstufen umgeben den Opferteil. In den Armen hält der Moloch ein schreiendes Kleinkind, das seine Ärmchen hilfesuchend dem Moloch entgegenstreckt. Die Opferstätte steht in einer hügeligen, fast vollständig vegetationslosen Landschaft. Der Stich ist wie alle anderen Bilder mit Isnard signiert. Im Bild eines Hohenpriesters (zwischen den Seiten 68/69) wird ergänzt: Isnard fils. Der wohl französische Künstler konnte nicht identifiziert werden. Auf eineinhalb Druckseiten schildern die Herausgeber die schaurige Geschichte des Molochs. Autor dürfte Pfarrrer Battier gewesen sein, ein bekannter Hebraist.

Die Erläuterungen beginnen mit der Feststellung, dass in früheren Zeiten den Göttern Feldfrüchte und «reine» Tiere geopfert wurden. Dann aber hätten die «Heyden» begonnen, auch unreine Tiere zu opfern, und seien «in solche Blindheit und Unsinnigkeit gerathen, dass sie nicht allein allerley unvernünfftige Thiere, sondern auch gar vernünfftige Menschen, oft ihre eigene leibliche Kinder ihre Söhne und Töchter ihren Götteren zu Ehren geschlachtet und geopferet haben». Aus anderen Bibelstellen wird abgeleitet, dass die Bewohner des Landes Kanaan vor der Landnahme der Israeliten ihre Kinder den Götzen zum Brandopfer hingegeben haben. Aber auch Moabiter, Samaritaner und Assyrer hätten junge Menschen geopfert. Dann weitet sich der Fächer: Nach Cäsar hätten auch die Druiden der Gallier und aufgrund der antiken Literatur die Phönizier, die Karthager, die Kreter dem Gott Saturn Menschenopfer dargebracht. Aber auch die Germanen und die Inder hätten «diese verfluchte abscheuliche Opferweise» gekannt. Die Inder hätten die Opfer sogar aufgegessen: «Welches nicht ohn Entsetzen und Grausen kan gelesen werden».

Schlimm sei jedoch, dass die Söhne Israels «diese verfluchte abscheuliche Opferweise» von ihren heidnischen Mitbewohnern und Nachbarn «abgelehrnet» und ebenfalls dem Ammoniter Götzen Moloch Kinder geopfert hätten, statt das heidnische Volk zu vernichten, wie Gott ihnen geboten hätte. Zudem hätten sie sogar die Sitte «nach den Greueln der Heyden» angenommen, ihre Kinder beim Brunnen Siloah westlich der Stadt Jerusalem durch das Feuer gehen zu lassen. Dabei hätten einige überlebt, andere seien elendiglich im Feuer verbrannt.

Der Moloch selber sei ein ehernes Götzenbild gewesen, das – wie das Bild zeige – durch Feuer erhitzt wurde, worauf die Kinder in die glühenden Arme des Moloch gelegt wurden und starben. Die Basler Theologen empörten sich, dass dabei «alsofort frisch und lustig getanzet ward, damit der armen Kinder Geschrey nicht gehöret, und die Elteren zum Mitleiden beweget wurden». Daher nannte man den Ort im Tal Hinnom zuerst «Tophet», Trommelort, später aber «Gehenna», wo nach dem Evangelisten Matthäus ein ewiges Heulen und Zähneklappern herrsche. Die nach dem Vorbild der Heiden versuchte Opferung von Isaak durch Abraham sei aber von Gott verhindert worden. Die grauenhafte Geschichte endet mit dem Lobpreis Gottes, dass er den Menschen «seinen Sohn für uns dahin gegeben, uns von der Qual der Höllen und den Klauen des Satans zu retten».

Der Moloch in der Wissenschaft
Die Forschung hat sich intensiv mit dem grässlichen Moloch beschäftigt und bestätigte einige Aussagen der Basler Theologen, Demnach ist der griechische Begriff Moloch (hebräisch Molech) im Alten Testament sechsmal belegt und ist auch als Göttername Milkom der Ammoniter bekannt. Der auch in der Lutherbibel erwähnte Kultort Tofet im Tal Ben-Hinnom war in jüdischer, aber auch noch in neutestamentlicher Zeit der Ort, wo Strafen vollzogen wurden. Der aramäische Name Gehenna nahm dann die Bedeutung von Hölle an. Dem auch in Mesopotamien und Ugarit (Königreich im Nordwesten Syriens an der Mittelmeerküste) bekannten Gott scheinen Verbindungen in die Unterwelt zugeschrieben worden zu sein. Der Name könnte aber auch einen phönizisch-kanaanäischen Ritus zur Opferung von Menschen oder als Ersatz von Menschen – von Tieren bezeichnet haben. Diese Bezeichnung wurde dann zu einem Götternamen umgedeutet. In der griechischen und römischen Antike wird von ähnlichen Kinderopfern für den punischen Gott Kronos-Baal in der phönizischen Kolonie Karthago (heute Tunesien) berichtet.

Die Kinderopfer für den Moloch gehörten ins düstere Kapitel der Menschenopfer. Solche sind in vielen Kulturen bezeugt, wobei vor allem Kinder, Kriegsgefangene und Sklaven geopfert wurden. Menschenopfer wurden zu verschiedenen Zwecken dargebracht: als Dank für den Sieg über die Feinde (z.B. bei den Galliern), als Begleitung eines Herrschers ins Jenseits (z.B. bei den Sumerern und den Inkas und in China), als Bitte um Fruchtbarkeit (bei den Germanen, vor allem aber bei den Azteken in Mittelamerika) oder als schützende Bauopfer unter Eingangstore (etwa beim Bau von Jericho). Mancherorts wurden aber die Menschenopfer durch Tieropfer abgelöst. Dazu gehört auch der Molochkult. Inschriften belegen, dass in späteren Zeiten als Ersatz für ein Kind ein Lamm geopfert wurden. Dieses Opfertier fand dann seinen Weg im Judentum als Pessach-Lamm und im Christentum zur Bezeichnung und bildliches Symbol für Jesus Christus, der sich für die Menschheit geopfert hat.

Es ist umstritten, ob die Israeliten dem Moloch Kinderopfer dargebracht haben oder ob es sich nicht eher um einen unblutigen Kult handelt. Die heutige Forschung nimmt aber an, dass auch im antiken Israel tatsächlich Kinder dem Moloch geopfert wurden, wie das schon in der Worber Lutherbibel beschrieben wird. Zeitlich fallen diese Kinderopfer ins letzte Jahrhundert des Königtums in Juda (8. und 7. Jahrhundert v. Chr.) und waren verzweifelte Massnahmen in einer politischen Krisensituation. Die beiden letzten Könige Ahas (735 – 715 v. Chr.) und Manasse (ca. 708– ca. 641 v. Chr.) dürften noch ihre Söhne dem Moloch geopfert haben. Der nachfolgende König Josia (639 – 609 v. Chr.) dagegen beseitigte unter dem Einfluss des Propheten Jeremias alle nicht-israelitischen Kulte, so auch den kanaanäischen mit der grausamen Gottheit des Moloch.

Der Chindlifrässerbrunnen ein Moloch?
In Bern denkt man bei Kindervertilgenden Monstern natürlich sofort an den in jüngster Zeit wieder in die Schlagzeiten geratene Chindli­frässerbrunnen auf dem Kornhausplatz. Dieser wurde 1545 vom Schwaben Hans Gieng geschaffen und 1997 bei der Sanierung der Tramlinien leicht verschoben. Er zeigt einen grimmigen Mann, wie er gerade daran ist, ein nacktes Kind zu verschlingen. Ein weiteres hält er in der linken Hand, und im umgehängten Sack trägt er drei weitere. Ein bekleidetes Kind scheint ihm entwischt zu sein und rennt weg.

Der Brunnen inspirierte zu verschiedenen Interpretationen. Im «Kunstführer durch die Schweiz» wird er als Fasnachtsfigur aus der Reformationszeit gedeutet. Die Deutung wird aber heute mehrheitlich abgelehnt, da 1529 die Fasnacht abgeschafft wurde und im sittenstrengen Bern kurz nach der Reformation kaum noch Fasnachtsfiguren auf einen Brunnensockel gestellt wurden. Zudem ist in der Fasnachtstradition ein Chindlifrässer nicht bekannt. Eine andere Interpretation will im Monster den Gott Chronos (griechisch) / Saturn (römisch) erkennen – eine schaurige Gestalt, der in der antiken Mythologie zuerst seinen Vater überwältigt und anschliessend seine Kinder gefressen habe, bis ihn schliesslich einer seiner Söhne, Zeus/Jupiter, stürzte und sich selber als Göttervater an seine Stelle setzte. Tatsächlich verschlingt Saturn in bildlichen Darstellungen Kinder, aber es fehlen ihm auf dem Berner Brunnen wichtige Attribute, so die Sichel, die er als Gottheit des Ackerbaus immer bei sich trägt.

Eine Deutung, die kürzlich vom Publizisten Roy Oppenheim als historische Tatsache behauptet wurde, und auch schon im 19. Jahrhundert etwa von Karl Howald vertreten wurde, sieht im Brunnen eine antisemitische Darstellung und stützt sich dabei auf den Spitzhut, den die Juden im Mittelalter tragen mussten. Es handle sich um eine Erinnerung an den angeblichen Ritualmord, den Juden in Bern am christlichen Knäblein Rudolf 1294 vollzogen hätten. Diese «antisemitische» These steht auf wackligen Füssen, denn dargestellt wird gar kein Ritualmord an einem Kind, wie er in der judenfeindlichen Publizistik und Ikonographie des 16. Jahrhunderts als Vorwurf erhoben wurde. Die dargestellten Juden packen in der Regel auch keine Kinder in die Tasche.

Am ehesten dürfte die Interpretation der Statue als Kinderschreck­figur zutreffen, wie man sie in jener Zeit häufig antrifft, gerade auch in der Heimat von Hans Gieng, und die mit Elementen des Chronos/Saturn verschmilzt. Die angehängte Tasche mit den darin steckenden (unfolgsamen) Kindern würde die etwas grobschlächtige Drohung an die Kinder unterstreichen: «Wenn du nicht gehorchst, holt und verschlingt dich der Chindlifrässer.» Wir kennen diese Drohung ja noch mit dem Schmutzli und dem grossen Sack, in den dieser böse Kinder steckt. Die Brunnenfigur wäre somit eher eine sozialdisziplinierende Drohfigur. Was die moralische (protestantische) Erziehung der Erwachsenen zu christlichem Leben mit den reformatorischen Sittengerichten bedeutet, könnte der Chindlifrässerbrunnen als rüdes Erziehungsinstrument für die Kinder interpretiert werden.

Vor gut einem Monat nun, am Weihnachtstag 2023, wurde der Brunnen Ziel eines Vandalenaktes. Er wurde von einer unbekannten Täterschaft mit roter Farbe übergossen. Mit gros­ser Wahrscheinlichkeit dürfte die Schmieraktion im Zusammenhang mit den Ereignissen im Gazahstreifen stehen. Demnach dürften die Täter den Chindlifrässer nach der fraglichen antisemitischen Deutung als Juden im Visier gehabt haben, und sie wollten mit der roten Farbe die Juden bzw. die Israelis als Bluthunde brandmarken. Damit hätte der Brunnen dann tatsächlich eine hässliche antisemitische Bedeutung erhalten. MARCO JORIO

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