«Am wichtigsten ist, der Runde etwas zu bieten – zeitlich und thematisch gesehen. Im Altersheim Worb gibt es zwei Nostalgiegruppen, eine einzige wäre zu gross und man hätte zu wenig Zeit für jedes Einzelne. Und bei unseren Gesprächen, wo es um einen Rückblick auf Vergangenes geht, sollen Themen im Zentrum stehen, die alle interessieren und wo eine gute Stimmung aufkommt. Politik ist mir zu heikel, ich erlebte mal eine Gruppe, in der die Diskussion in ein Ghetto ausartete, weil eine Person den anderen ihre Meinung aufdrücken wollte. Vielleicht bin ich für dieses Thema auch nicht die Richtige, weil mich selbst die Politik nicht so wahnsinnig interessiert.
Beliebte Themen sind Theater, Märit, das Bauernleben – Fragen wie ‹Was habt Ihr gekocht?›, ‹Wie habt Ihr gewaschen?›, ‹Wie pflegte man seinen Körper?›. Dieses an sich sensible Thema bereitet den alten Menschen überhaupt keine Mühe, im Gegenteil, sie sprechen gern darüber, auf eine ganz natürliche Art. Zuoberst auf der Themen-Hitparade steht das Thema ‹Chilbi›, aus gutem Grund. Wär sech dert alls het lehre kenne …
Bei meiner vorherigen Tätigkeit arbeitete ich als Service-Mitarbeiterin in einem Gastrobetrieb, seit ein paar Jahren bin ich ausgebildete Aktivierungs-Fachfrau. Das Studium dauert je nach Ambition ein bis drei Jahre, vorausgesetzt wird eine gleichzeitige praktische Tätigkeit in dieser Richtung, mit einem Mindestpensum von 20 %.
In einer Nostalgiegruppe spricht man vor allem von früher, und dazwischen immer wieder vom Heute. Ich bereite Themen vor wie Vögel, Wasser, Blitz und Donner – ich arbeite stets mit Bildern und Texten, suche ein passendes Musikstück zum Thema und kreiere Kärtchen, auf denen ein schöner Spruch steht. Der wöchentliche Anlass im Altersheim dauert jeweils 45 Minuten und ich muss mir bewusst sein, dass das Besprochene bei den Meisten nach einem halben Tag vergessen ist.
Obwohl unter unseren Bewohnern viele eine Demenz aufweisen, erinnern sie sich an gewisse Dinge haargenau. Sie sehen ihre Hochzeit vor sich, kennen noch die Namen der Trauzeugen, den Namen der Kirche mit dem Ort, wo sie stand, sie erinnern sich vor allem an den Blumenstrauss für die Braut und an die einzelnen Blumen, die darin steckten.
Meine eigene, prägendste Erinnerung betrifft die Geburt meines Sohnes. Aber auch jene, die mit meinem persönlichen Wachstum zu tun hat, meinen Werdegang, meine Reflexionen darüber. Ich hinterfrage viel. Was löst ein Wort von mir beim anderen aus? Was hinterlasse ich für Spuren? Auf dem Sterbebett möchte ich sagen können: Ich habe das Leben gelebt, so wie ich es mir vorstellte, habe auf jedem Fall in den Momenten das Möglichste daraus gemacht. Es gibt leider so viele abgelöschte Menschen, die das Leben verpassen, die mit achtzig begraben werden und eigentlich bereits mit vierzig gestorben sind.
Der Tod ist in einem Altersheim präsent, allerdings nicht in einer Nostalgiegruppe. Ich spreche das Thema Sterben bei meinen Einzelbesuchen in den Zimmern an und wenn jemand verzweifelt sagt ‹i möcht am liebschte stärbe› gehe ich darauf ein, versuche das Problem nicht vom Tisch zu wischen mit einem Spruch wie ‹eh ja, aber morn gsehts villicht scho anders us›. Ich tausche mit den Betreffenden Gedanken über das Sterben aus, es ist Teil einer Biographiearbeit und meine Wahrnehmung ist die, dass die Leute noch mehr darüber sprechen möchten.
Manchmal frage ich mich, wie und über was die heute 20- bis 30-Jährigen sprechen werden, wenn sie mal siebzig oder achtzig sind. Ich vermute, sie sprechen über die Technik, die Fortschritte. Eigentlich genau so, wie die Alten von heute es tun, wenn sie sich an die alten Telefonapparate von früher erinnern. Und sie sagen dann immer: Jesses, das hätte mir nie dänkt.»
Aufgezeichnet von
Bernhard Engler