Mein Nachname ist italienisch, genauso wie meine ersten drei Lebensjahre auf unserer spannenden Erde. Dann zogen meine Eltern in die Schweiz, unter anderem mit mir im Schlepptau. Seither wurde die Schweiz vom neuen Zuhause auch zu meiner Heimat. Die meiste Zeit meines Lebens habe ich in Münsingen verbracht. Ganze 44 Jahre lang habe ich dort gelebt, gearbeitet und gewirkt. Ein Stück Heimat wird Münsingen für mich immer bleiben. Aber jetzt bin ich glückliche Worberin.
Nach Worb bin ich eher durch Zufall gekommen. Wobei sich der Zufall schnell als Schicksal zu erkennen gab. Seit Oktober 2024 arbeite ich nun im avec am RBS-Bahnhof. Üse avec wird von einem tollen Chef geführt, und das Team ist wunderbar. Ich verstehe mich, vo hinger bis vore mit allen gut. Es dauerte nicht lange, da wurde mir klar: Ich will nicht nur hier arbeiten, ich will auch hier wohnen. Und so sind wir als Familie nach Worb gezogen.
Ich identifiziere mich sehr mit dem Ort, an dem ich lebe, und mit der Arbeit, die ich mache. Arbeiten war für mich immer zentral im Leben. Ich arbeite gern. Für mich gehört zur Arbeit unbedingt der soziale Kontakt. Ich bin gesellig, ich unterhalte mich gerne mit Menschen, lerne neue Leute kennen. Ich brauche das. Das Schwätze zwischendurch ist, was ich mitunter am meisten schätze. Bei uns gibt es nicht nur Produkte, sondern auch ein offenes Ohr und ein ehrlich gemeintes Lächeln. Ich finde, Freundlichkeit kostet nichts, aber gibt viel. Wie man in den Wald ruft, kommt es zurück. Nicht immer, aber oft. Als ich Geburtstag hatte, kamen viele Glückwünsche von Kundinnen und Kunden. Ich habe sogar ein Blümchen geschenkt bekommen. Das hat mich sehr gefreut.
Natürlich ist die Arbeit mängisch auch anstrengend. Ich stehe in der Regel um vier Uhr auf, bin um zehn vor fünf im Laden und beginne mit dem Aufbacken. Eine gute Stunde später, um sechs Uhr, öffne ich die Ladentore. Dann ist Multitasking gefragt: Einkassieren, Bestellungen, Telefone, Lieferungen, und eben auch der Schwatz braucht Zeit. Ein zweites Paar Hände wäre oft nicht schlecht. An manchen Tagen würden es aber auch Rollschuhe an den Füssen tun.
Der avec ist direkt am Bahnhof, ein richtiger Umschlagplatz. Das kunterbunte Worb kauft bei uns ein. Viele kenne ich, mit nicht wenigen bin ich per Du. Bei manchen weiss ich am Morgen bereits, dass sie es pressant haben. Ich kassiere auch schon mal bei jemandem schneller ein, damit es noch auf den Zug oder aufs Tram reicht.
Ich bin eine schaffige Person. Ich denke, selbst wenn das Glück auf den Bäumen wächst, muss man es zuerst pflücken. Das wollte ich auch meinen Kindern mitgeben. Ich wollte für sie da sein, ihnen aber auch Verantwortung abgeben, sie zu selbstständigen, bewussten Menschen erziehen. Und ich bin heute sehr stolz auf meine zwei erwachsenen Kinder. Auch wenn mir meine Arbeit sehr wichtig ist: La famiglia è la numero uno!
Vor über zehn Jahren war ich selbstständig. Ich hatte dreieinhalb Jahre lang ein Take-away. Es lief gut, war aber sträng. Irgendwann hätte ich jemanden einstellen müssen, aber das lag einfach nicht drin. Und dann kam von meinem Mann diese direkte, ehrliche Frage, für die ich ihn sehr schätze: Arbeit oder Familie? Das hat mir gutgetan. Ich habe mich entschieden, das Take-away aufzugeben. Keine einfache Entscheidung, aber die richtige.
Ich komme schnell mit Leuten in Kontakt. Ich schätze das sehr und möchte das nicht missen. Aber ja, manchmal ist es auch anstrengend, dass mich beinahe jede und jeder kennt. Ich kann also nicht allzu viel Quatsch machen in Worb. Spass beiseite, würde ich natürlich auch so nicht.
Was mich die Arbeit und das Leben gelehrt haben, ist: Man darf nie nach dem Äusseren urteilen. Ich denke, man sollte immer in den Rucksack schauen, den ein Mensch mit seinen Erlebnissen gefüllt hat. Die Person sehen. Den Menschen hinter der Hülle. Denn jeder trägt seine eigene Geschichte mit sich. U die Gschichte sis, wo zeue.
Aufgezeichnet von
MARTIN FONTANELLAZ