Die Worber Geschichte feiert dieses Jahr gleich zweimal. Vor 20 Jahren erschien die 720 Seiten starke «Worber Geschichte». Im gleichen Jahr wurde die Interessengemeinschaft (IG) Worber Geschichte gegründet. In einem Festakt hielten die Worber Geschichtsinteressierten am 16. Oktober 2025 im Chinoworb Rückblick und Ausblick (s. WoPo 10/25).
20 Jahre «Worber Geschichte», 20 Jahre IG Worber Geschichte! Menschen, die 20 Jahre alt werden, gelten gemeinhin als jung und treten aus dem Kindes- und Jugendalter ins Erwachsenenalter. Per Analogie ist die IG daher noch jung. 20-jährige Bücher dagegen gelten als alt und landen im Antiquariat. Also ein noch unreifes Vereinchen und ein veraltetes Geschichtsbuch? Ganz sicher nicht! Die IG ist als junger, lokaler Geschichtsverein bereits bestens etabliert und kann schon einige Leistungen vorweisen. Andererseits ist das Worber Geschichtsbuch überhaupt nicht überholt, quasi noch taufrisch. Es ist aber weder vollständig noch erschöpfend. Das war auch nie das Ziel und konnte es auch nicht sein. Die mehrtausendjährige Geschichte Worbs bringt man ohnehin nicht zwischen zwei Buchdeckel.
Die Geburt einer grossen Gemeindegeschichte Die Idee, die Geschichte der Gemeinde Worb wissenschaftlich und umfassend aufzuarbeiten, entstand 1993, als der Gemeinderat im Oktober in den Regierungsrichtlinien für die folgenden vier Jahre vorsah, eine «Dorfchronik» erarbeiten zu lassen. Er liess sich von folgenden Überlegungen leiten: Worb als zehntgrösste Berner Gemeinde besitze nicht wie andere Gemeinden eine wissenschaftlich erarbeitete Gemeindegeschichte. Die 11 000 Einwohner von Worb leben in sieben Ortschaften und seien immer auf der Suche nach einer gemeinsamen Identität. Der Gemeinderat war überzeugt, dass ein gross angelegtes Forschungsprojekt, das in eine Buchpublikation mündet, einen wichtigen Beitrag zur innerkommunalen Kohäsion leisten könne. Vorerst geschah aber nichts, bis im Juli 1997 der in Worb wohnhafte Historiker Heiner Schmidt, damals noch Privatdozent, ab 2001 Professor am Historischen Institut der Universität Bern, als Projektleiter gewonnen werden konnte.
Der Gemeinderat setzte darauf eine «gemeinderätliche Spezialkommission Worber Geschichte» ein, die unter der Leitung von Heiner Schmidt das Projekt ausarbeitete. Dabei liess sie sich nicht von den traditionellen, chronologisch aufgebauten «Dorfchroniken» leiten, sondern von einem modernen, soziologischen Konzept, das die Selbsterhaltung der Gesellschaft – konkret der Worber Gesellschaft und der hier lebenden Menschen – in Zeit und Raum ins Zentrum setzte. Daraus ergaben sich sechs grosse Themenbereiche: Siedlungsraum und Frühgeschichte, die Menschen und ihre Gesellschaft, Herrschaft und Gemeinde Worb, Gericht, Recht und Sicherheit, Kultur und Religion sowie Ökonomie und Infrastruktur. Das «Historische Lexikon der Schweiz» (erschienen 2002–2014) folgte im Übrigen bei den Sachartikeln einem ähnlichen Schema. Die sechs Bereiche sollten dann jeweils durch fünf bis zehn Einzelartikel erforscht werden. In über 30 «Kästchen» von einer bis zu mehreren Seiten sollten persönliche Einzelschicksale (etwa die grausame Hinrichtung der «Mordbrennerin» Anna Mosimann) vorgestellt werden und Tabellen (etwa die Liste der reformierten Pfarrer von Worb) sowie Quellenauszüge (etwa die Vogteirechnung von 1780 für die bevormundete Witwe Cathrina Liechti) die wissenschaftlichen Texte ergänzen und auflockern.
Um das ehrgeizige Projekt realisieren zu können, fehlte aber noch das liebe Geld. Die Finanzplanung ergab einen Bedarf von 230 000. Franken, die in erster Linie für die Drucklegung und die Kosten für die Erschliessung grosser Quellenbestände vorgesehen waren. Es wurden keine Löhne eingeplant. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiteten ehrenamtlich, ausser zwei Personen, welche die Archive sichteten und die Quellen auszogen. Der Gemeinderat war von der Wichtigkeit und Richtigkeit der Projektplanung überzeugt und winkte die Botschaft an den Grossen Gemeinderat durch. Dort stiess die Vorlage am 6. September 1999 auf viel Zustimmung, aber auch auf gehässige Ablehnung, die auch auf die Person des (aus Deutschland stammenden) Projektleiters zielte. Einige Voten waren unter der Gürtellinie und «unhöflich» – wie «Der Bund» tadelte –, so dass sich der Gemeindeschreiber Hans-Rudolf Löffel sogar beim Projektleiter für die flegelhaften Voten entschuldigte. Im Parlament wurde von den Gegnern die Notwendigkeit einer Gemeindegeschichte («Wunschbedarf») in Frage gestellt und der beantragte Kredit angesichts der prekären Finanzlage sowie der hohen Steuerbelastung als untragbar kritisiert. Zudem befürchteten einige Ratsmitglieder ein zu wissenschaftliches Buch, das von der breiten Öffentlichkeit nicht zur Kenntnis genommen würde. Schliesslich wurde aber der Rückweisungsantrag der SVP mit dem knappest möglichen Resultat von 16 zu 15 Stimmen abgelehnt und der Projektkredit schliesslich mit nur gerade 16 zu 14 Stimmen angenommen.
Das Werk entsteht Sofort nach der Kreditgenehmigung begann die Projektleitung mit der redaktionellen Arbeit. In einem aufwändigen Verfahren gelang es, rund 50 kompetente Autorinnen und Autoren zu gewinnen – ein buntes Gemisch von Frauen und Männern aus den verschiedensten Fachbereichen und mit verschiedensten Kompetenzen: Historiker, Kunsthistoriker, Archäologin, Denkmalpfleger, Ortsnamenforscher, Geologen, Geographen. Neben etablierten Wissenschaftern wirkten auch Hobbyhistoriker mit spezifischen Detailkenntnissen mit. Eine Besonderheit war die Integration des Worber Projekts in die universitäre Ausbildung des Historischen Instituts. Projektleiter Heiner Schmidt bot ein zweisemestriges Seminar an, in dem die Studentinnen und Studenten, welche Artikel beisteuerten, ihre Erkenntnisse vorstellten und methodologische Probleme besprachen. Ausserhalb der Uni fanden in Worb Workshops mit den Autorinnen und Autoren statt: ein seltenes und (gelungenes) «Joint venture» von universitärer Lehre und Forschung sowie lokaler Geschichtsszene.
Das Projekt erschöpfte sich aber nicht nur im Verfassen von Artikeln. In einem Vorprojekt wurden während Jahren Quellen zur Herrschaft und Gemeinde Worb im Bezirksarchiv in Schlosswil, im Staatsarchiv, im Gemeindearchiv Worb, in kirchlichen und vielen weiteren öffentlichen und privaten Archiven aufgespürt und in eine Datenbank eingetippt. Heute ginge das mit Handy, Cloud und KI viel einfacher… Die erfassten Dokumente standen für die Bearbeitung zur Verfügung – sofern da nicht die alte deutsche Schrift gewesen wäre, die kaum noch jemand lesen konnte. Der Projektleiter und seine Mitarbeiter, Andrea Schüpbach und Thomas Brodbeck, halfen beim Entziffern. Daneben stellte Fränzi Hebeisen eine Bibliothek zur Worber Geschichte zusammen.
Und so entstand das grosse Werk, das schliesslich mit einer Auflage von 3000 Exemplaren beim Berner Verlag Stämpfli 2004 (im Impressum mit Erscheinungsjahr 2005) in Druck ging und am 26. November 2004 in einer gut besuchten Vernissage im Bärensaal der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Es wurde in mehreren Zeitungen und Zeitschriften besprochen. Professor André Holenstein, selbst auch Autor, würdigte anlässlich der 20-Jahrfeier das Werk wie folgt: «Worb hatte und hat mit seiner Ortsgeschichte Glück. Das Werk rangiert eindeutig in der Champion’s League der Ortsgeschichten, und dies in verschiedener Hinsicht. Es deckt alle Epochen und Lebensbereiche ab. Es basiert in wesentlichen Teilen auf neuer wissenschaftlicher Forschung. Es genügt hinsichtlich der Analyse und der Darstellung wissenschaftlichen Standards und orientiert sich an zentralen Fragestellungen der aktuellen historischen Forschung. Gleichwohl bleibt es eine Darstellung für das breite, interessierte Publikum. Aufbau und Gliederung sind kohärent und gut nachvollziehbar. Die zahlreichen Illustrationen mit Bildern, Tabellen und Graphiken sind klug platziert; sie unterstützen und bereichern auf erhellende Weise die Lektüre. Ausserdem ist die «Worber Geschichte» das gelungene Ergebnis eines gemeinschaftlichen Geschichtsprojekts, an dem eine Gemeinde und die Universität zusammengearbeitet und dabei einen langen Atem bewiesen haben.»
Die im Grossen Gemeinderat gehegten finanziellen Befürchtungen bewahrheiteten sich schliesslich nicht. Die Ausgaben waren mit rund 232 000.– Fr. statt der budgetierten 230 000.– fast eine Punktlandung. Die Einnahmen waren sogar höher als budgetiert, so dass nach Abzug der Verkäufe und der Sponsoringbeiträge nicht ein «Defizit» von 150 000.– Fr., sondern nur von gut 107 000.– resultierte. Ein Vorbild für andere Gemeindeprojekte!
Die Geburt der IG Worber Geschichte Noch während der Abschlussarbeiten am Buch entstand die Idee, dass mit der Vernissage nicht einfach Schluss sein soll. Die Begeisterung für die neu entdeckte Worber Geschichte, aber auch das umfangreiche, gesammelte Material (kopierte Unterlagen, die Datenbank mit rund 600 Bildern und die Bibliothek) sollten in einen Verein überführt werden, um das historische Wissen über unsere Gemeinde weiterzuentwickeln. Am 19. August 2005 wurden der Verein gegründet und die heute noch gültigen Statuten verabschiedet. Gründungspräsident war Daniel Weber, der während des Buchprojekts als Sekretär der gemeinderätlichen Spezialkommission das administrative Rückgrat bildete. Anlässlich der ersten ordentlichen Mitgliederversammlung vom 18. Oktober 2006 übernahm ich dann das Präsidium.
Die gemeinderätliche Spezialkommission anlässlich der Vernissage vom 26. November 2004. Von links nach rechts: Andreas Rieder, Marco Jorio, Daniel Weber, Heiner Schmidt, (Projektleiter), Thomas Brodbeck, Andrea Schüpbach, Peter Lüthi. Bild: zvg
Die Gemeinde war überzeugt, dass die Fortsetzung des Buchprojekts in Form eines kleinen, kommunalen Vereins eine gute Sache ist, und so schloss sie im November 2006 mit dem Verein eine Leistungsvereinbarung ab. Die IG bekommt seither einen jährlichen Beitrag von 5000.–, muss dafür aber gewisse Leistungen erbringen. Dank der Gemeindebeiträge kann der Verein auf einen Mitgliederbeitrag der durchschnittlich 130 Mitglieder verzichten und den Referenten ein anständiges Honorar bezahlen. Im Übrigen arbeitet der Verein sehr kostengünstig: Die Vereinsarbeit im Vorstand ist unbezahlte Freiwilligenarbeit (ausser einem Jahresendessen als «Honorar»), und die Beiträge im Umfang von rund einer Zeitungsseite in der Worber Post kosten den Verein nichts. Die Gemeinde hat ferner zugesichert, kostspielige Einzelprojekte mit einem ausserordentlichen Beitrag zu unterstützen. Das ist bisher zweimal geschehen: für das Rüfenachtbuch 2016 und den Geschichtspfad 2019.
Die IG in Aktion Die Hauptlast der Vereinstätigkeit liegt auf den Schultern der fünf bis sieben Vorstandsmitglieder. Da sich diese aber alle noch anderweitig engagieren, sind die Personalressourcen beschränkt und müssen gezielt eingesetzt werden. Es kann daher nicht alles Wünschbare realisiert werden. In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich so etwas wie ein standardisiertes Vereinsjahr eingespielt. Dieses besteht aus zwei Veranstaltungen in Form von Referaten oder Besichtigungen, wobei der Frühlinganlass gleichzeitig mit der Mitgliederversammlung stattfifndet, der bis anhin nur einmal, im Pandemiejahr 2020, ausfiel. Bis heute wurden rund 30 Referate und 10 Besichtigungen aller Art angeboten. Zwei Besichtigungen bleiben vor allem in Erinnerung: Zum Dank für die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft an das Ehepaar Seelhofer im Jahre 2007 durfte der Verein eine öffentlich ausgeschriebene Besichtigung des Schlosses durchführen. Über 250 Personen meldeten sich an! Schliesslich konnten wir nur 70 Personen in zwei Gruppen zulassen; gegen 200 Interessierte mussten enttäuscht werden. Ähnlich erging es am Tag der offenen Grabung einer mittelbronzezeitlichen Siedlung bei Richigen, den der Verein mit dem archäologischen Dienst am 29. Februar 2020 veranstaltete. Anstelle der erwarteten 300 kamen gegen 800 Personen und stellten die Organisation des Vereins und des archäologischen Dienstes vor grosse logistische Probleme: Parkplätze, Transportdienst und Besucherführung durch das enge Ausgrabungsgelände.
Die Produkte der IG Eine zentrale Tätigkeit besteht in der regelmässigen Publikation von vier bis sechs, meistens ganzseitigen Artikeln in der Worber Post. Sie decken ein breites Spektrum der Vergangenheit unserer Gemeinde ab und bilden zusammen umfangmässig so etwas wie einen ergänzenden Band zur Worber Geschichte. Seit zwei Jahren werden die WoPo-Artikel zudem ergänzt durch die Rubrik «Es war einmal», die auf der letzten Seite jeder WoPo-Ausgabe auf einer Viertelseite ein Foto von Alt-Worb mit einem Kommentar vorstellt. Daneben bietet die IG innerhalb der Homepage der Gemeinde Worb mehrere eigene Seiten an: Neben einigen Informationsseiten (so zur IG, zur Worber Geschichte und zum Geschichtspfad) finden sich mehrere Datenbanken: so die über achtzig WoPo-Artikel, rund hundert historisch interessante Bauten in der Gemeinde Worb und – als «Renner» unter den digitalen Angeboten – eine Sammlung von mehreren hundert Bildern zu Worb. Seit zwei Jahren ist zudem die IG auf Instagram zu finden.
Die IG hat trotz der knappen Ressourcen einige «Produkte» auf den Markt gebracht. 2014 erschien als Ergänzung zur Worber Geschichte die 130 Seiten starke «Geschichte von Rüfenacht und Vielbringen» aus der Feder der Berner Historikerin Anne-Marie Dubler. 2017, 2018 und 2019 nahm die IG eine frühere Tradition wieder auf und publizierte auf Weihnachten hin einen «Worber Foto-Kalender». Da aber der Verkauf nach anfänglichem Erfolg beim dritten Kalender massiv einbrach, wurde auf eine Weiterführung verzichtet. Schliesslich hat die IG vor zwei Jahren ein Postkartenset zu Worb produziert. MARCO JORIO
Der Vorstand der IG Worber Geschichte (2005–2025)
Daniel Weber (2005–2008), Präsident 2005–2006 Marco Jorio (2005–), Präsident seit 2006 Heinrich-Richard Schmidt (2005–2010) Thomas Brodbeck (2005–2013) Andrea Schüpbach (2005–2013) Peter Lüthi (2005–2015) Christoph Lerch (2009–) Bernhard Cloetta (2009–2014) Christian Reusser (2013–) Marius Gränicher (2014–) Philipp Aeberhardt (2015–) Annette Gfeller (2017–)