Die AHV ist ein Dauerbrenner in der politischen Agenda. Am 3. März 2024 stehen zwei Initiativen zur Abstimmung, die sich um die Altersvorsorge drehen. Der Sozialversicherungsfachmann Thomas Gasser gibt einen Einblick in das komplexe Schweizer Rentensystem.
Der Worber Thomas Gasser arbeitet als Fachmann im Sozialversicherungsbereich. Er ist Mitglied der FDP Worb und engagiert sich zudem in der Sicherheits- und der Sozialkommission. Dass das Rentensystem durch den demographischen Wandel und die derzeit steigenden Preise bei Miete und Krankenversicherungsprämien revisionsbedürftig ist, liegt für ihn auf der Hand. Doch bei der Initiative für eine 13. AHV-Rente sieht er mehr Risiken als Vorteile.
Die AHV feiert dieses Jahr ihr 75-jähriges Bestehen. Gibt es Grund zum Feiern?
Thomas Gasser: Ich würde sagen ja. Schon nur, weil dieses System nach wie vor Bestand hat und nicht mehr wegzudenken ist. Aber, es zeichnen sich auch die Schwächen ab und dass es Anpassungen braucht wie die Revision AHV 21, die seit dem 1. Januar 2024 in Kraft ist.
Sie sprechen den demographischen Wandel an.
Ja, das ist einer der Hauptpunkte, warum es eine Revision braucht. Der demographische Wandel hat einen extremen Einfluss, da es sich bei der AHV um ein Umlageverfahren handelt.
Mit der Revision AHV 21 sollen die Renten bis 2030 gesichert sein. Ist das so?
Davon geht man aus. Das ist aber eine Hochrechnung. Es wird fortlaufend weitere Revisionen brauchen.
Am 3. März stehen zwei Initiativen zur Abstimmung an: Die 13. AHV, die vom Schweizer Gewerkschaftsbund lanciert wurde, und die Renteninitiative der Jungfreisinnigen. Was beinhalten diese beiden Vorlagen?
Die 13. AHV-Rente will, wie es der Name schon sagt, eine 13. AHV ausrichten. Bei der Renteninitiative soll das Rentenalter beider Geschlechter schrittweise auf 66 Jahre erhöht und bei steigender Lebenserwartung weiter angepasst werden. Diese fehlende Flexibilität ist mitunter ein Grund, warum die AHV in Schieflage geraten ist.
Führen Sie das etwas genauer aus.
Früher kamen rund sechs erwerbstätige Personen auf eine rentenbeziehende Person. Heute sind es nur noch zwei auf eine Person. Das Umlageverfahren, der Generationenvertrag zwischen Jung und Alt, wird zudem mit über einem Viertel an Steuergeldern gestützt. Es gab nie eine Anpassung des Rentenalters bei den Männern. Da wir alle immer älter werden, sollte das Rentenalter auch weiter angepasst werden, um eine noch schlimmere Schieflage abzuwenden. Ansonsten müssten Steuergelder gebraucht werden oder mehr Beiträge vom Lohn abgezogen werden.
Die Erhöhung ist in ganz Europa ein brandaktuelles Thema und es ist nur logisch, diese an die Lebenserwartung zu koppeln. Bestehende Regeln bleiben immer noch (fünf Jahre vorher in Pension, körperliche Arbeiten werden über gewerkschaftliche Verträge geregelt). Die Message der Renteninitiative ist: Wer länger arbeiten will, der darf.
Konzentrieren wir uns auf die 13. AHV. Sie soll das Leben der Bürgerinnen und Bürger im Alter verbessern. Was ist daran auszusetzen?
Daran ist natürlich nichts auszusetzen. Aber wie soll es umgesetzt werden? Hinzu kommt, dass viele Leute gut abgesichert sind und die 13. AHV nicht brauchen. Aus meiner Sicht ist es am falschen Ort angesetzt, wenn pauschal mehr Geld verteilt wird. Mit der Revision, die im Januar in Kraft getreten ist, wurden gute Lösungen für alle gefunden. Jetzt die AHV mit einer nicht durchdachten Initiative in Mehrkosten zu stürzen, sehe ich als gefährlich an.
Was sind das für Lösungen?
Wenn man Beitragslücken hat oder nicht die maximale Rente bekommt, kann man nach Eintritt ins Rentenalter neu auf den Freibetrag verzichten und weiterhin Beiträge an die AHV einzahlen. Ebenso kann zwischen 65 und 70 unter gewissen Voraussetzungen eine Neuberechnung der Altersrente verlangt werden. Zum Beispiel muss man mindestens 40% seines durchschnittlichen Jahreseinkommens weiterverdienen.
Also in Teilzeit weiterarbeiten?
Ja, aber, man kann nicht einfach einen 40% Job haben und denken es reicht. Es muss im Minimum 40% des durchschnittlichen Jahreseinkommens über die ganze Erwerbsdauer sein, das kann mehr oder weniger als ein 40% Job sein.
Beispielsweise Frauen, die Beitragslücken haben, können also davon profitieren?
Absolut. Es muss einfach frühzeitig beantragt werden. Wer weiter Beiträge ohne Abzug zahlen will, um die Rente zu verbessern, meldet das seinem Arbeitgeber. Weitere Auskünfte erhält man bei der AHV-Zweigstelle.
Welche Risiken sehen Sie, sollte die 13. AHV angenommen werden?
Es entstünde ein unfaires Ungleichgewicht. Es würden 4,1 Milliarden Franken an Mehrkosten anfallen. Dieses Geld muss von irgendwoher kommen. Woher man dieses Geld nehmen sollte, dafür hat das Initiativkomitee keinen Vorschlag gemacht. Grob gesehen gäbe es zwei Finanzierungsmöglichkeiten. Entweder mehr Steuergeld vom Bund, doch der zahlt jetzt schon jährlich rund 13 Mrd. an die AHV, und/oder mehr Lohnabzüge für die Arbeitnehmenden.
Wie gut oder schlecht ist die AHV heute aufgestellt?
Mit der neu in Kraft getretenen Revision besser. Aber das Grundsystem hat immer noch gravierende Mängel. Die Idee ist ja, dass die Arbeitnehmenden die Renten zahlen. Der sogenannte Generationenvertrag. Dass es aber weniger Arbeitnehmende und mehr Rentner gibt, akzeptiert man einfach so. Die AHV würde auf einen Schlag in eine grosse Schieflage geraden, wenn die Initiative für eine 13. AHV-Rente angenommen werden würde. Die Renteninitiative der Jungfreisinnigen könnte das ausgleichen und die AHV dorthin führen, wo es Sinn macht.
Die AHV berücksichtigt unbezahlte Sorge- und Pflegearbeit. Trotzdem sind häufig Frauen von Altersarmut betroffen. Was ist aus Ihrer Sicht das Mittel dagegen?
Eine pauschale 13. Altersrente ist keine Lösung, sondern eine Revision der 2. Säule. Die Eintrittsschwelle müsste tiefer angelegt werden, so dass auch Teilzeitarbeitende mit einem kleinen Einkommen einzahlen können. Eine Pensionskassenreform wird noch zur Abstimmung kommen. Die Stellung der Frauen kann in der Altersvorsorge nicht von heute auf morgen geändert werden, das ist ein Generationenprojekt. Wer kurz vor der Pension steht, kann nicht hoffen, dass plötzlich mehr Geld kommt.
Aus dem bürgerlichen Lager kommt oft das Argument: Wem die Rente nicht reicht, kann ja Ergänzungsleistungen (EL) beantragen. Ist das nicht etwas zynisch?
Aus meiner Sicht ist das nicht zynisch, sondern sachlich. Wer höhere Ausgaben als Renteneinnahmen hat, hat das Recht auf EL. Hier macht der Staat den Spagat zwischen nicht zu attraktiv sein und die Hürden nicht unüberwindbar machen. Es darf nicht zu viel geben, aber es muss genug geben. Unser Rentensystem ist einfach, aber die Details sind hochkomplex. Eine 13. AHV würde das System torpedieren und schwächen. Die hohe Zustimmung macht mir Angst.
Die Altersvorsoge gliedert sich in AHV, Pensionskasse und 3. Säule. Doch gerade für Geringverdienende ist es nicht immer möglich in ein 3.-Säule-Konto einzuzahlen. Wäre es da nicht sinnvoll die AHV zu stärken?
Ja nicht! Es wäre gefährlich und falsch das Umlageverfahren noch mehr auszubauen. Schon wegen den demographischen Gegebenheiten; wir leben länger und es werden weniger Kinder geboren. Schon jetzt sind wir auf Zuwanderung angewiesen, um das Rentensystem zu stützen. Ich verstehe die Leute, die sich Sorgen um ihre Rente machen. Aber hier wäre es wichtig sich nicht nur auf den Staat zu verlassen und selbst versuchen Geld anzusparen, z.B, mit einer 2. oder 3. Säule. Ich rate allen zu einer dritten Säule, schon CHF 50 monatlich geben im Alter einen grossen Betrag. Zudem spart man noch Steuern.
Haben Sie einen Altersvorsorge-Tipp für Geringverdienende?
Die Gründe, warum jemand wenig verdient, sind individuell, sei es die Branche oder man arbeitet in einem kleinen Pensum, weil man Kinder betreut. Wer jung ist und vielleicht noch zuhause wohnt, der soll versuchen, schon jetzt in die 3. Säule einzuzahlen. Das sage ich jedem. Es gibt Beratungsstellen, die einen dabei unterstützen eine gute Lösung für die Altersvorsorge zu finden. Wir Menschen sind von Natur aus sozial gepolt. Wer in einer schwierigen Situation ist, bekommt Hilfe und Unterstützung.
Interview: AW