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Gottfried Egger: Worber Bierbrauer im 19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert war es für Brauer nicht gerade üblich, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Der Worber Gottfried Egger (1830 bis 1913) hat es trotzdem getan. Die beiden unscheinbaren, von ihm beschriebenen Hefte lagen jahrzehntelang in einem ausrangierten Aktenschrank im Büro seiner Brauerei. Seine Nachfahren haben sie wiederentdeckt und im Selbstverlag veröffentlicht. Das Ergebnis ist eine lebendige, aufschlussreiche Lebensgeschichte, die so viel über die Lust am Brauen verrät wie über die Lust am Erfolg.

Europa hatte gerade damit begonnen, die Trümmer der Napoleonischen Kriege zusammenzukehren, als Gottfried Egger im Jahr 1830 in eine kinderreiche Familie im Kanton Bern hineingeboren wurde – er war das jüngste von elf Geschwistern. Gottfrieds Vater war Hutmacher, sein Geschäft ging ordentlich. Doch als er bereits in jungen Jahren starb, drohte die Familie zu verarmen. Früh lernte Gottfried Egger deshalb, in Haushalt und Garten mit anzupacken. Sein Unternehmergeist regte sich erstmals, als er ein wissenschaftliches Buch über die Baumzucht geschenkt bekam und sich fortan als Gartenbauer betätigte. 

Trotz der misslichen Umstände versuchte Gottfrieds Mutter, den Kindern eine gute Ausbildung zu gewähren. Ein Sohn studierte Medizin, und Gottfried Egger wurde mit 16 Jahren an der Kantonsschule in Aarau zugelassen. Egger erwies sich als fähiger Schüler, vor allem das Englische bereitete ihm Freude. Doch bald zeigte sich, dass er nicht zum Lernen gemacht war: «Ich verlor, wie man sagt, das Sitzleder», schreibt er in seiner Autobiografie, «als sollte ich mehr meine Hände, Arme und Füsse brauchen, meine physischen Kräfte anwenden, als ruhig am Pult sitzen, und über schwierige Probleme zu brüten.» So brach er die Kantonsschule auch wegen eines Augenleidens ab. 

Im Jahre 1850 gab es in der Schweiz nicht weniger als 150 Brauereien mit einem jährlichen Ausstoss von 120 000 hl, die gut 30 Jahre vor der Erfindung der Kältemaschine ihr Bier handwerklich brauten und in Eiskellern lagerten. Drei von Gottfried Eggers Brüdern entschlossen sich in dieser Zeit, eine kleine Brauerei in Aarwangen zu eröffnen. Dort absolvierte Gottfried seine Lehre. Es war für ihn gar keine schöne Zeit. Denn der bayerische Braumeister, den die Brüder angestellt hatten, verstand sich zwar auf sein Handwerk, war aber «sehr jähzornig, launisch und herrschsüchtig. Er hatte es eben darauf abgesehen, mir die Brauerei zu verleiden» – wahrscheinlich weil er dachte, Gottfried Egger würde ihm nach der Ausbildung seinen Platz streitig machen. Und wenn seinen Brüdern auch die Brauerei gehörte: Als Lehrling schuldete Gottfried dem Braumeister unbedingten Gehorsam. 

Anfangs kam Egger die Arbeit in Nässe, Schmutz und Kälte sehr streng vor. Zum Glück verstand er sich jedoch gut mit seinem Mitlehrling Karl Bläsi, mit dem er fortan Freud und Leid teilte. Im Jahre 1850 endlich «kam die Zeit der Erlösung», denn Egger wechselte als Braugehilfe nach Memmingen im Allgäu. Doch auch hier waren die Arbeitstage lang («da wusste man noch nichts vom 8 Stundenarbeitstag»), und die Arbeit bestand unter anderem aus «Fassputzen, Bierabziehen und Spedieren», also versenden. Und auch das Essen schmeckte ihm nicht. Ungenügend und wenig schmackhaft sei es, schimpfte er. Seine Gesellenwalz führte den jungen Egger durch ganz Deutschland. Kurz nachdem in der Frankfurter Paulskirche die Nationalversammlung getagt hatte, um dem Deutschen Reich eine Verfassung zu geben, arbeitete er in Augsburg und München, reiste nach Budapest, Prag, Paris und London, wo er die Weltausstellung besuchte. In München bildete er sich auch theoretisch weiter, indem er Vorlesungen über das Brauwesen besuchte.

Nach einigen Jahren kehrte er in die Brauerei seiner Brüder nach Aarwangen zurück. Inzwischen hatte er sich in «Bethli» Bürki verliebt und dachte an eine Heirat. Dennoch entschloss sich Gottfried Egger im Jahre 1855, zusammen mit seinem Freund Karl Bläsi in die USA auszuwandern. Sein Bruder August hatte ihm in der heimischen Brauerei nur wenige Kompetenzen überlassen, und Egger brannte darauf, selbständig etwas zu leisten. Das schien ihm im «Aufsteigerland» USA besser möglich zu sein als in der Schweiz. Vor seiner Abreise studierte Egger die Gebräuche und Gesetze Amerikas eifrig, und das Englische beherrschte er noch aus der Schule.

Die beiden Auswanderer arbeiteten zunächst in Newark im Bundesstaat New Jersey, ehe sie weiter nach Westen zogen und im Bundesstaat Ohio Arbeit in einer Brauerei fanden. In Chicago wohnten viele Deutsche, dort gedieh die Bierbrauerei nach bayerischer Schule. Im nahegelegenen Städtchen Aurora kauften Egger und Bläsi Land und bauten einen eigenen Betrieb auf. Kapital erhielten sie unter anderem von einem ausgewanderten, wohlhabenden Schweizer. Ihr Lagerbier kam vor allem bei der irischstämmigen Mehrheit der Einheimischen sowie bei deutsch sprechenden Wirten der Umgebung gut an, so dass Egger und Bläsi die Brauerei und die in einen Hügel gegrabene Lagerhalle schon bald vergrössern mussten. 

Das Malz bezogen die beiden Brauer zunächst aus Mälzereien in Milwaukee, bevor sie eine eigene Mälzerei einrichteten. Sie unterhielten zudem eine kleine Landwirtschaft mit Pferden, Ochsen, Schweinen, Gänsen, Enten und Hühnern, die sie mit dem anfallenden Malztreber fütterten.  Egger und Bläsi waren sehr fleissig, sie lebten bescheiden und sparsam, auf engstem Raum, teilten sich sogar das Schlafzimmer. Insbesondere die winterliche Kälte setzte ihnen allerdings zu. Dafür schätzten die beiden Jungunternehmer den Erfindergeist im neuen Land, auch die «erstaunlichen» Arbeitsleistungen der Amerikaner ebenso wie ihr Improvisationstalent und nicht zuletzt die fleisch- und fettreiche Kost. Der Heimat und seinem «Bethli» verbunden blieb Egger durch Briefe. Im Jahre 1858 kehrte er für kurze Zeit nach Bern zurück, um seine Liebe zu heiraten. Gemeinsam zog das Ehepaar nach Ohio und bekam bald Kinder. Die Firma florierte, dennoch entschloss sich Egger auf Drängen seiner gebrechlichen Mutter bald zur Rückkehr in die Schweiz.

Im Alter von 32 Jahren traf Egger mit seiner kleinen Familie wieder in der alten Heimat ein. Eggers Geschäftssinn zeigte sich erneut, als er noch in den USA eine grosse Kiste mit modernen Petrollampen gekauft hatte und diese nun in der Schweiz mit Gewinn verkaufte. Der Bierbrauer handelte auch mit Fleischwaren aus der neuen Welt, namentlich mit Schweinezungen und Bratwurstdärmen, ehe er in Worb eine eigene Brauerei gründete.

Zum Betrieb gehörte auch eine eigene Gaststube, gegen die einheimische Wirte opponierten. Der Rückkehrer Egger war als Konkurrent nicht bei allen Landsleuten gerne gesehen. Egger widmete sich der Brauerei mit viel Energie, er half im Betrieb aktiv mit und warb in Gaststätten erfolgreich um neue Kunden. Zudem war er im öffentlichen Leben aktiv, als liberaler, in der Schweiz «freisinnig» genannter Politiker ebenso wie als Mitbegründer des örtlichen Handwerkervereins, der Worber Krankenkasse, der «Alters- und Sterbekasse», der Krankenstube, als Mitglied der Schulkommission und Präsident des Einwohnergemeinderats sowie als Vorstand der Armenanstalt Enggistein. Überall erwies sich der engagierte Egger als ein Macher, ganz Kind der so genannten Gründungszeit und der zweiten Industrialisierung der Schweiz. Mit Rückschlägen musste er jedoch ebenfalls zurechtkommen. So verlor er im Jahre 1876, nachdem ein unfähiger Braumeister schlechtes Bier gebraut hatte, viele seiner Kunden. Doch auch diesen Rückschlag steckte Egger weg. Und am Ende seines Lebens konnte er zufrieden Bilanz ziehen und den Betrieb in die Hände seines ältesten Sohnes übergeben. 

Fabian Brändle

Über den Autor
Dr. phil. Fabian Brändle (*1970), Historiker, forscht und publiziert zur Geschichte der Demokratie, zur Volkskultur, zur Geschichte des Sports, zur popularen Autobiographik und zur Geschichte des Folk. Er lebt in St. Gallen.

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