Ich kenne Annemarie Özdemir schon einige Jahre. Uns hat mein Secondhand Laden in der Berner Altstadt zusammengeführt: Annemarie Özdemir hat uns regelmässig gut erhaltene Kleidung, die sie von Kolleginnen bekam, in Kommission gegeben. Den Erlös aus den Verkäufen hat sie jeweils in die Tierschutzarbeit in der Türkei mitgenommen. Die Begegnungen mit ihr waren immer besonders warmherzig, geprägt von gegenseitigem Interesse und Anerkennung. Da ich meinen Laden leider schliessen musste, hatten wir gerade kürzlich unser letztes Treffen. Da fiel mir plötzlich ein: Frau Özdemir wäre eine spannende Frau für mein nächstes Vis-à-vis und ich fragte sie, ob sie bereit wäre, mir von ihr und ihrer Arbeit zu erzählen. Unser Austausch fand kurz nach ihrem jährlichen Türkei-Aufenthalt bei ihrem Strassentierhilfsprojekt Arche Noah in Burdur statt.
«Seit dem Jahr 1990 lebe ich zufrieden in Rüfenacht im Eigenheim, zusammen mit Findelkatzen, die ich in erbärmlichem Zustand aufgenommen habe. Im Jahre 1950 bin ich im Weiler Ried im Emmental geboren und wuchs als Bauernkind bescheiden mit drei Schwestern auf. Die Liebe zum Ländlichen ist geblieben, sowie auch die grosse Liebe zu den Katzen und allen anderen Tieren, das zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Schon als kleines Mädchen wollte ich die Katzenbabys, die auf unserem Hof geboren wurden, retten, und habe sie unter meiner Bettdecke versteckt. Meine Eltern waren damit natürlich nicht einverstanden und die Kätzchen wurden dann schlussendlich doch immer getötet.
Als ich vor 35 Jahren Atila heiratete, ihn zu seiner Familie im Landesinnern der Türkei begleitet habe und mit dem grausamen Leben der Strassentiere konfrontiert wurde, sah, wie elend sie behandelt werden, wusste ich, dass ich da helfen will. Wir waren 17 Jahre glücklich verheiratet und wenn da nicht dieser grosse Tierschutzdrang in mir gewesen wäre, um auch hierzulande den Katzen zu helfen, die es nicht gut hatten, dann wäre ich es wohl heute noch! Mein Mann hat immer gesagt, dass er mit dem grossen Engagement diesbezüglich nicht einverstanden war, da es viel Zeit und auch Geld forderte. Abgesehen davon hatten wir es gut gehabt, haben uns gut verstanden. Aber es wurde halt immer mehr. Dann irgendwann kam der Tag, da er sagte: «Ich oder die Katzen». Ich hörte auf die Stimme meines Herzens und entschied mich für die Katzen. Demzufolge wurden unsere materiellen Güter in Anstand und Würde geteilt und die Ehe geschieden. Atila ging in die Türkei zurück und hat nochmal geheiratet und wurde Vater von zwei Buben. Der gute Kontakt zu ihm und seiner Familie ist bis heute geblieben, das ist schön und nicht selbstverständlich.
Mein Engagement für die Strassentiere fing mit wenig an und wurde stets mehr. Ich lernte in der Türkei die tierliebende Familie Kerse in Burdur kennen, was ein Geschenk des Himmels ist! Vor zehn Jahren entstand von dem Fleck roter Erde, den wir nach langem Suchen kaufen konnten, auf dem 2000 Quadratmeter grossen Grundstück der Arche-Noah-Lebenshof, wo zurzeit rund 150 gerettete Strassenkatzen und 37 Hunde hinter den hohen Mauern in Sicherheit sind. Meine zuverlässigen Menschen vor Ort betreuen die Tiere liebevoll 365 Tage im Jahr, doch mit ihren fleissigen Händen und den warmen Herzen können sie kein Futter kaufen, keine Kastrationen machen lassen und auch die tierärztlichen Behandlungen nicht bezahlen. Das viele Geld, das es dafür braucht, beschaffe ich, vor allem mit Herzblutschreiben an Tierschutzstiftungen, in denen ich um finanzielle Unterstützung bitte. Auslandtierschutz zu machen ist schwer, weil es so ist, dass in den armen Ländern, wo die Menschen nichts haben, das Geld nicht zu den Tieren kommt. Ich habe jedoch in den Jahrzehnten ein gutes Netzwerk aufgebaut und meine treuen Spender vertrauen mir zu Recht, sonst könnte das Ganze längst nicht mehr aufrechterhalten werden, da mein privates Geld dafür nicht reichen würde. Jeden September fliege ich mit dem Geld und 70 kg, nach Prioritäten zusammengestellten Hilfsgütern zu meinem Strassentierhilfsprojekt und lebe mit den Menschen und Tieren zusammen, darum kann ich voll dahinterstehen. Eine grosse Bitte habe ich an die Katzenhaltenden hier: Bitte lasst eure Tiere kastrieren. Es gibt auch da eine grosse Überpopulation unerwünschter Katzen, die ein erbärmliches Leben haben; die Kastrationen sind der einzige Weg, das einzudämmen und zusätzliches Tierleid zu verhindern.
Ich hoffe, dass mir meine Kraft für diese wichtige Arbeit noch lange erhalten bleibt. Das bekannte Gelassenheitsgebet hilft mir seit Jahren immer wieder: Gott, gib mir die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden.»
Aufgezeichnet von
RAHEL VON DER DECKEN