Vor vier Jahren, bin ich von Fulda bei Frankfurt nach Aeschi gezogen. Ich hatte mich parallel in Deutschland und in der Schweiz auf neue Jobs beworben – und dann tatsächlich eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch in Bern erhalten.
Das Gespräch fand im November 2020 statt. Sie hätten tatsächlich eine Stelle für mich gehabt, aber ich hätte schon am 1. Dezember anfangen müssen. Viel zu kurzfristig – ich hatte eine Wohnung, einen Job, Verpflichtungen in einem anderen Land. Doch dann ergab sich plötzlich eine andere Möglichkeit: eine befristete Schwangerschaftsvertretung in Aeschi bei Spiez, die erst im Januar starten würde. Ich hatte kaum Zeit zum Nachdenken – am Wochenende überlegte ich – am Montag sagte ich zu.
Und nun war ich also da. In Aeschi. Mitten im Corona-Lockdown. Die Landschaft war wie auf einer Postkarte – aber es gab keinen Alltag, kein Kulturleben. Nur Arbeit und ich. Ich musste mich mit mir selbst beschäftigen, mehr als je zuvor. Alleinsein wurde zu einer neuen Begleiterin, genau wie die Herausforderung, mich in einem fremden Land zurechtzufinden. Immer wieder diese leisen Gedanken: War das die richtige Entscheidung?
Aber diese Zeit war unglaublich wertvoll für mich. Ich habe viel gelernt – vor allem über mich selbst. Ich habe herausgefunden, dass ich mit mir allein sein kann, dass ich mich auf mich selbst verlassen kann. Es war eine gute, wichtige Zeit. Aber ich hatte noch nicht wirklich etwas von der Schweiz gesehen.
Nach sechs Monaten in Aeschi suchte ich also eine neue Stelle und wurde in Bern fündig. Ich zog in einen grossen, anonymen Wohnblock, nahe meiner neuen Arbeit. Von Spiez ins Wankdorf – von natürlichem Stein zu angerührtem Beton. Mein erster Umzug innerhalb der Schweiz.
Man könnte vielleicht denken, dass es einfach ist, von Deutschland in die Schweiz zu ziehen. Aber wenn man in einem neuen Land ist, ist man komplett auf sich allein gestellt. Die Bürokratie funktioniert anders, man hat ständig das Gefühl, darauf achten zu müssen, alles richtig zu machen. Es gibt keine eingespielten Routinen, und nach der Arbeit fehlt der gewohnte Ausgleich.
Ein stabiles Umfeld mit einem gewachsenen Freundeskreis kann ein wichtiger Gegenpol zum Arbeitsalltag sein. Für mich war das anders. Ich musste mir alles erneut aufbauen – soziale Kontakte knüpfen, Hobbys finden, immer wieder auf Menschen zugehen. Es war keine Entspannung nach der Arbeit, sondern eine weitere Aufgabe, die Energie kostete.
Dann wurde ich auf ein Haus mit Garten in Rüfenacht aufmerksam. Ich hatte nicht vor, aus meiner Wohnung auszuziehen – doch die Idee liess mich nicht los. Schliesslich schrieb ich den Leuten in der WG und ging auf ein Abendessen vorbei. Es passte – und so zog ich, wieder einmal die Spontanität als Antreiberin, nach Rüfenacht.
Zum ersten Mal fühlte es sich an, als wäre ich angekommen. Mit dem sozialen Umfeld kam ein besserer Ausgleich – Puzzleteile griffen plötzlich ineinander und ich konnte allmählich ein Bild erkennen. Es war nicht mehr nur Arbeit – es begann ein Leben. Auch die Umgebung, Rüfenacht trug zum Ankommen bei. Ich bin gerne in der Natur, gehe joggen, lasse mich vom Ausblick auf die entfernte Bergkette erden, schlage allmählich Wurzeln.
Eine meiner grössten Leidenschaften ist das Reisen. Früher wäre ich nie allein verreist. Aber das hat sich geändert. Alleinsein bedeutet nicht Einsamkeit, sondern die Gesellschaft mit sich selbst. Die Möglichkeit, sich selbst besser kennenzulernen, bewusst mit sich Zeit zu verbringen.
Auch jetzt geht es auf Reisen. Dieses Mal nach Chile – fast ein halbes Jahr – alleine. Es ist nicht nur ein Abenteuer – es ist eine Herausforderung, die ich mir selbst stelle. Und ich weiss, dass ich sie meistern werde.
Ich gehe auf Reisen. Und ich komme nach Hause zurück: Zrügg uf Rüfenacht.
Aufgezeichnet von
MARTIN FONTANELLAZ