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Hat viel Zeit mit der Worber Luther-Bibel verbracht; Historiker Dr. Marco Jorio. Bild S. Mathys

Bibel-Fund: Die Worber Luther-Bibel von 1798

In Worb ist eine prachtvolle Luther-Bibel aus dem Jahre 1798 aufgetaucht. Dass es sich um die Übersetzung der Hl. Schrift von Martin Luther handelt, ist insofern aussergewöhnlich, als im alten Staat Bern diese Übersetzung des Wittenberger Reformators offiziell gar nicht zugelassen war.

Gross war die Überraschung, als mir Mitte Januar dieses Jahres Jean-Pierre Peternier, Mitglied des reformierten Kirchgemeinderats, mitteilte, dass auf dem Sekretariat eine alte Bibel abgegeben worden sei. Das erinnerte mich stark an Findelkinder, die man früher anonym in der Kirche der Mitmenschlichkeit des Pfarrers und der Kirchgenossen anvertraut hatte. Eine genauere Prüfung ergab, dass es sich beim biblischen «Findelkind» um einen sehr späten Basler Druck aus dem Revolutionsjahr 1798 handelt. Der Foliant wiegt 4½ kg und misst 27 cm mal 37 cm und ist 9 cm dick – also ein richtig massiver Brocken von einem Buch. Dass es schon lange nicht mehr benützt wurde, zeigte sich beim ersten Öffnen, als eine der beiden brüchigen Lederschnallen, welche das Buch schlossen, gleich zerriss. Was machen mit diesem «Findelkind»? Die Kirchgemeinde hatte keinen Bedarf dafür. Die Nationalbibliothek wäre eine gute Adresse gewesen, da sich diese Ausgabe nicht in ihrem Bestand befindet. Sie figuriert auch nicht auf der Liste der Schweizer Bibeldrucke im Gros­sen Bibelbuch, das 1997 der Basler Verlag  Schwabe herausgebracht hat – eine quasi unbekannte Bibelausgabe! Aber da der anonyme Spender und der Kirchgemeinderat wünschten, dass die Bibel in Worb bleibt, hat sie die IG Worber Geschichte übernommen und in ihre Bibliothek aufgenommen. In einer kleinen Feier in der reformierten Kirche übergab Kirchgemeinderätin Monika Burri am 10. März 2022 die Bibel der IG Worber Geschichte (Bericht s. WoPo 3/22).

Ein Basler Druck
Bei der Ausgabe von 1798 handelt es sich um einen überarbeiteten Nachdruck der Ausgabe von 1720, von der es bereits 1736, 1754, 1767 und 1778 Neuauflagen gab. Man hat also nach 78 Jahren das gleiche, etwas veränderte Buch nochmals gedruckt. Herausgegeben wurde es von den beiden Basler Pfarrern Friedrich Battier (1659–1722), Pfarrer zu St. Alban und bekannter Hebraist, sowie Theodor Gernler (1670–1723), Pfarrer zu St. Elisabethen. Battier stammte aus einer Hugenottenfamilie, die im 16. Jahrhundert als Glaubensflüchtlinge über Genf nach Basel gekommen war. Die Familie stieg im Basler Patriziat auf, betrieb Seidenhandel, stellte Bürgermeister, Landvögte und eine Reihe von Theologen. Sie starb 1868 aus. Die Gernler stellten viele Theologen, unter anderen Lucas Gernler (1625–1675), der als Antistes (Vorsteher) der Basler Kirche und Professor Vertreter der reformierten Orthodoxie, einer sehr strengen protestantischen Theologie, war. Gedruckt wurde die Bibel im Verlag von Emanuel Thurneysen (1749-1806). Dessen gleichnamiger Grossvater Emanuel (1687–1739) hatte den Verlag gegründet. Im 18. Jahrhundert war der Thurneysensche Verlag einer der wichtigsten Basler Verlage, der das Basler Buchwesen zu einer neuen Blüte führte. Erstaunlicherweise bringt Emanuel Thurneysen ausgerechnet 1798, im Jahr des Franzoseneinfalls und des Untergangs der Alten Eidgenossenschaft, diese Neuauflage heraus. Es dürfte sich um die letzte grosse barocke Bibel gehandelt haben, die noch ganz im Geiste des Ancien Régime auf den Markt kam. Diese Ausgabe kann ausser physisch bei der IG Worber Geschichte auch digital unter ­www.e-rata.ch (empfohlene Suchbegriffe: Biblia Gernler) konsultiert werden.

Die dicken Bibelausgaben dienten nicht kirchlichen, das heisst liturgischen Zwecken, sondern waren Familienbibeln. Wohlhabende Bürger, aber auch reiche Bauern kauften sich eine solche Bibel zur religiösen Erbauung im Familienkreis. Sie wurde von Generation zu Generation weitervererbt und überlebte oft als einziges Buch die vielen Erbgänge. Dies geschah auch mit der Worber Luther-Bibel, die aufgrund von eingelegten Zetteln und sogar von einer kompletten Nachschrift eines Konfirmationsunterrichts aus den Jahren 1921/22 von der Nutzung mehrerer Generationen zeugt. Die Bibel wanderte mit der Familie mit. Die Spender-Familie stammte nämlich ursprünglich aus dem Berner Oberland und ist seit alters her u.a. in den Gemeinden Frutigen, Grindelwald und Lütschental heimatberechtigt. Wer die Bibel wann aus dem Oberland nach Worb brachte, ist unbekannt.

Ein weiteres Rätsel ist, warum die Familie eine Luther-Bibel erwarb. Denn die offizielle Bibel des alten Staates Bern war nicht Luthers Ausgabe, die vor allem in Deutschland verbreitet war und in den reformierten Kantonen Basel und Schaffhausen sogar als offizielle, quasi als Staatsbibel galt. Die Schweiz hat einen sehr lange Bibel-Tradition. Die Lutherbibel ist nicht die erste deutsche Bibel, wie vielfach angenommen wird. Bereits 1306 bis 1325 brachte der Dominikaner Marchwart Biberli in Zürich die erste vollständige deutsche Übersetzung heraus. Als bahnbrechende Leistung liess Erasmus von Rotterdam 1516 bei Johannes Froben in Basel eine wissenschaftliche Ausgabe in griechischer und lateinischer Sprache drucken. Auf der Basis der Ausgabe von Erasmus gaben dann Zwingli und Leo Jud 1531 die sogenannte Froschauer Bibel, auch Zürcher oder Zwingli-Bibel genannt, heraus. Diese war und ist bis heute in der reformierten Deutschschweiz (ausser in Basel und Schaffhausen) die am meisten verbreitete Hl. Schrift. Aber auch nicht in Bern. Bern ging eigene Wege.

Nicht offizielle Bibel
Den reformierten Obrigkeiten war es ein grosses Anliegen, dass ihre Untertanen eifrig die Bibel lasen, galt doch im Protestantismus der Grundsatz der «sola scriptura», nur das Wort aus der Bibel galt als theologische Richtschnur. Das war im Kanton Bern nicht anders. Es ist heute noch ein Rätsel, warum die Gnädigen Herren sich nicht für die klassische Lutherbibel und auch nicht für die immerhin auf eidgenössischem Boden entstandene Zürcher oder Zwingli-Bibel  entschieden, sondern die Piscatorbibel zur bernischen Staatsbibel erkoren. Autor dieser Bibelübersetzung ist der 1546 in Strassburg geborene Johannes Fischer, lateinisch Piscator. Ursprünglich Lutheraner wurde er zunächst Theologieprofessor in Strassburg und Heidelberg. Nachdem er aber zum Calvinismus, das heisst zum reformierten Bekenntnis oder, wie dieses ausserhalb der Schweiz genannt wird, zur Confessio Helvetica konvertiert war, musste er seine beiden evangelischen, d.h. lutherischen Professorenstellen aufgeben. Von 1584 bis zu seinem Tod 1625 war er Professor an der calvinistischen (reformierten) Hohen Schule in Herborn, heute eine Stadt in Hessen mit rund 20 000 Einwohner. Gegründet wurde die Hohe Schule 1584 vom reformierten Grafen Johann VI. von Nassau-Dillenburg. Piscator war also seit der Gründung dabei und prägte sie. Da die Hohe Schule vom Kaiser als calvinistische Gründung nie das Universitätsprivileg erhielt, hatte sie kein Promotionsrecht, entwickelte sich aber trotzdem zu einer der wichtigsten Bildungsstätten der Reformierten in Europa.

Aufgrund der theologischen Gegensätze zwischen Calvinisten und Lutheraner übersetzte Piscator von 1602 bis 1604 auf der Basis der in Genf erschienenen lateinischen und französischen calvinistischen Bibel das Alte und das Neue Testament ins Deutsche und schuf damit so etwas wie eine Konkurrenzausgabe zur Lutherbibel. Er legte in seiner calvinistischen Bibelübersetzung grossen Wert auf philologische Genauigkeit. Dadurch wurde die Übersetzung etwas holprig und schwerfällig im Vergleich zur freier formulierten Lutherbibel. Die Lutheraner bekämpften diese Bibelausgabe und nannten sie aufgrund einer von Piscator etwas kühn ergänzten Stelle «die Strafmichgott-Bibel». In Deutschland wurde sie vor allem im 17. Jahrhundert verwendet, aber nur in Bern war sie bis zum Ende des Ancien Régimes in Gebrauch. Vermutlich kam sie durch die Vermittlung der zahlreichen Berner Theologiestudenten, die in Herborn studierten, nach Bern. Bereits 1616 wurde den jungen Theologen in Bern vorgeschrieben, dass «die studiosi in collegio morgens und abens ein gantzes capitul uss der Bibel Piscatoris lesen» sollen. 1680 wird die erste Berner Piscator-Bibel mit einem prächtigen Berner Bären auf der Titelseite gedruckt und im folgenden Jahr «als die beste Version» zur Berner Staatsbibel erklärt. Von 1680 bis 1846 erschienen in Bern neun Piscstorbibeln in verschiedenen Formaten.

Warum erwarb die Oberländerfamilie nicht eine Piscatorbibel, sondern eine nicht-offizielle und erst noch eine lutherische Ausgabe? Stand sie dem Luthertum nahe? War es ein Geschenk von ausserhalb Berns? Gab es Beziehungen nach Basel oder gar ins Ausland zu Lutheranern? Wir wissen es nicht.

Ein Blick in die Worber Lutherbibel
Martin Luther übersetzte von 1522 bis 1545 mit Hilfe von fachkundigen Theologen die Bibel aus der althebräischen, aramäischen und altgriechischen Sprache ins Frühneuhochdeutsche. Er versuchte zwar auch, eine philologisch korrekte Übersetzung zu schaffen, aber im Gegensatz zu Piscator orientierte er sich stark an der Sprache seiner Zeit. Die Verständlichkeit durch weite Volksschichten war ihm sehr wichtig. Mit seinem Sprachstil erfand er auch neue Wendungen und wirkte so sprachschöpferisch. Seine Bibel beeinflusste die deutsche Sprache wie kein anderes literarisches Werk. Er schuf so recht eigentlich die hochdeutsche Sprache. Seine Bibelübersetzung war sprachlich so mächtig, dass die Deutschschweizer um 1650 das «Lutherdeutsch» übernahmen und die Weiterentwicklung der alemannischen Kanzleisprache abbrachen, im Gegensatz zu den Niederländern, die ihre sprachliche Eigenentwicklung fortsetzten. Die Lutherbibel wurde immer wieder in teilweise überarbeiteten Versionen nachgedruckt und war in der frühen Neuzeit das meistgelesene Buch im deutschsprachigen Raum. 2017 wurde im Hinblick auf das 500-Jahr-Jubiläum der Reformation von der Evangelischen Kirche Deutschlands eine neue Lutherbibel herausgegeben, die aber wegen ihrer teilweisen Rückkehr zu Luthers Version als antiquiert kritisiert wurde.

Die Worber Bibel bringt den ursprünglichen Luthertext mit einigen sprachlichen Anpassungen. Sie gliedert sich in das Alte Testament (688 Seiten) und das Neue Testament mit den Apostelbriefen (280 Seiten). Dazwischen schoben die Herausgeber die apokryphen Schriften, die «Apokcrypha: Das sind Bücher, so der Hl. Schrifft nicht gleich gehalten und doch nützlich und gut zu lesen sind» (120 Seiten). Dabei handelt es sich um Schriften, die nicht in den biblischen Kanon, das heisst in die offizielle Sammlung der biblischen Texte, aufgenommen waren und als eine Art inoffizieller Anhang den eigentlichen Schriften des Alten Testaments als Anhang beigegeben wurden. Damit umfasst die Worber Lutherbibel 1088 zweispaltige, engbedruckte Seiten. Die einzelnen Verse sind in fetter Frakturschrift gedruckt. Die meisten Verse sind mit einem oder mehreren Kommentaren sowie Verweisen auf andere Bibelstellen versehen. Damit sollen den Lesern Begriffe und unklare Stellen erläutert werden. Da sieht man die Handschrift des Pfarrers und Pädagogen Gernler, dessen Erläuterungen oft hilfreich, manchmal aber auch etwas penetrant lehrerhaft wirken. Das Buch ist schwach illustriert und mit Ausnahme der prächtigen Titelseite, bei der die Herausgeber sogar etwas Rot gewagt haben, nur mit schwarzen Lettern gedruckt.

Im Innern gibt es einige Bilder, alles Stiche. Es fällt auf, dass nur jüdische Themen, fast alle im Alten Testament, illustriert werden. Das dürfte wohl dem Einfluss von Pfarrer Battier geschuldet sein, dem als ausgewiesener Hebraist die jüdische Geschichte nahe lag. Die Bilder zeigen etwa die Arche Noah und die Sintflut, den Turmbau zu Babel, die Bundeslade, den Hohepriester und den «gemeinen Priester» in ihren Amtstrachten, die Schaubrottische, den «chindli­fressenden» Moloch der Heiden, das Äussere und Innere des Tempels Salomons und den ehernen Kessel («Meer» genannt) des Salomon. Das Neue Testament ist mit Ausnahme eines Pharisäerbildes völlig unbebildert. Da ist nichts zu finden von der im europäischen, vor allem in der katholischen Welt, hoch entwickelten und gemütvollen Ikonographie und Malerei etwa zur Verkündigung Mariens, zur rührenden Weihnachtsgeschichte oder zur Passion Christi. Ganz in der Tradition des auf das Wort fixierten Calvinismus zählt nur das «puur luuter Wort». MARCO JORIO

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