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Von links nach rechts die Ratsmitglieder Annemarie Egli-Schmutz, Daniel Schmutz, Walter Moser und Hermann Kirchhofer an der ersten Sitzung des Grossen Gemeinderates.

Worber Politik: 50 Jahre Grosser Gemeinderat

«… In Sachgeschäften wird man nicht immer der gleichen Meinung sein. Demokratie heisst aber Diskussion. Ich erhoffe und wünsche eine gute Zusammenarbeit. Das Wohl der Gemeinde muss für uns alle im Vordergrund stehen. Die gegenseitige Rücksichtnahme in der politischen Arbeit wird die Sache erleichtern. Die Lösung der zahlreichen Probleme, wie sie sich unserer schnell wachsenden Gemeinde stellen, wird unsere ganze Aufmerksamkeit erfordern …» Mit diesen Worten eröffnete Ulrich Zaugg am 5. Februar 1973 als erster Präsident im Kirchgemeindehaus Worb die erste Sitzung des Grossen Gemeinderates. Seitdem sind 50 Jahre vergangen. Die Interessengemeinschaft Worber Geschichte nimmt dies zum Anlass für einen Rückblick auf 50 Jahre Worber Parlamentsgeschichte. 

Einführung des Grossen Gemeinderates
Genau zehn Jahre vor der ersten Parlamentssitzung regte Walter Aeschbacher an der Gemeindeversammlung vom 20. Juli 1963 an, die Schaffung eines grossen und eines kleinen Gemeinderates zu prüfen. Er erachtete die Gemeindeversammlung als nicht mehr geeignetes Mittel, um über Vorlagen zu entscheiden, die Kostenfolgen in Millionenhöhe verursachten. Der Gemeinderat lehnte das Eintreten auf dieses Anliegen ab, weil er den Zeitpunkt als noch nicht gekommen ansah. Seiner Meinung nach sollte die Frage erst bei einer Totalrevision des Organisations- und Verwaltungsreglements geprüft werden.

Bewegung in die Sache brachte die am 20. Juni 1968 von der Freisinnig-Demokratischen Partei lancierte «Initiative auf Einführung eines Gemeindeparlamentes». Gefordert wurden die Ablösung und Ersetzung der Gemeindeversammlung durch einen Grossen Gemeinderat auf spätestens 1. Januar 1971. Die Initianten waren der Meinung, «dass es in weiterer Zukunft nicht mehr verantwortet werden kann, dass jeweilen nur eine kleine Minderheit, die an der Gemeindeversammlung teilnimmt, weittragende Beschlüsse fasst, die die Gesamtheit der Stimmbürger und Steuerzahler angehen». Als Vorteil der Urnenabstimmung werteten sie, dass die Stimmberechtigten in aller Ruhe, unbeeinflusst und unkontrolliert ihre Meinung abgeben könnten, während «der einzelne Stimmbürger an der Gemeindeversammlung unter dem Einfluss einer momentanen Orientierung und Diskussion seine Meinung kund tun muss…». Auch waren sie der Auffassung, die Mitglieder eines Grossen Gemeinderates könnten die einzelnen Geschäfte viel besser kontrollieren und überblicken als die Stimmberechtigten an der Gemeindeversammlung. Schliesslich hatten sie Bedenken, ob nach der Gewährung des Frauenstimmrechtes die Platzverhältnisse noch genügen würden. 

Der Gemeinderat veranschlagte für die erforderlichen Reorganisationsarbeiten einen Zeitbedarf von drei bis dreieinhalb Jahren. Er unterbreitete daher den Gegenvorschlag, die Schaffung eines Grossen Gemeinderates frühestens auf den 1. Januar 1973 vorzubereiten. An der Urnenabstimmung vom 1. Dezember 1968 lehnten die Stimmberechtigten die Initiative mit 1476 gegen 885 Stimmen ab. Dem gemeinderätlichen Gegenvorschlag stimmten sie mit 1159 gegen 1138 Stimmen zu. Weil das absolute Mehr von 1214 Stimmen aber verfehlt wurde, galt auch dieser Antrag als abgelehnt. Es lag aber auf der Hand, die Ja-Stimmen zu addieren, weil es nicht möglich gewesen war, sowohl der Initiative wie auch dem Gegenvorschlag zuzustimmen. Diese Rechnung ergab 2044 Ja-Stimmen bei 2426 eingereichten Stimmzetteln. 

Der Gemeinderat beauftragte deshalb am 4. Juni 1969 eine 16-köpfige Spezialkommission, ein neues Organisations- und Verwaltungsreglement zu erarbeiten. Im Februar 1971 lag der erste Entwurf vor. Ihm erwuchs keine ernsthafte Opposition. Die Stimmberechtigten genehmigten das neue Organisationsreglement am 2. Juli 1972 an der Urne bei einer Stimmbeteiligung von nur gerade 15 Prozent mit 550 gegen 259 Stimmen.

Der erste Präsident des Grossen ­Gemeinderates Ulrich Zaugg.


Die ersten Wahlen
Die ersten Wahlen in den Grossen Gemeinderat fanden am 3. Dezember 1972 statt. Die November-Ausgabe der «Worber Post» war ausschliesslich diesem Thema gewidmet. An den Wahlen beteiligten sich die Bürgerpartei Worb (BP), die Christlichdemokratische Volkspartei Worb (CVP), die Freisinnig-Demokratische Partei Rüfenacht (FDP), die Freisinnig-Demokratische Partei Worb und Umgebung (FDP), die Freie Wählergruppe Neues Worb (NW) und die Sozialdemokratische Partei Worb (SP). Für die 40 Parlamentssitze kandidierten 183 Frauen und Männer. Die Stimmbeteiligung lag bei 66,5 Prozent.

Als stärkste Kräfte gingen die SP und die BP mit je elf Sitzen hervor, gefolgt von den beiden FDP-Sektionen mit zusammen zehn Sitzen, der Wählergruppe NW mit sieben Sitzen und der CVP mit einem Sitz. Die von Hand durchgeführten Ermittlungsarbeiten gestalteten sich sehr aufwendig. Gemäss Wahlprotokoll arbeitete rund ein Drittel der Wahlausschussmitglieder am Wahlsonntag freiwillig bis gegen 23 Uhr. Die endgültigen Resultate lagen erst am Dienstag um 15 Uhr vor. Präsident und Sekretär des Wahlausschusses hielten im Wahlprotokoll denn auch fest: «Bei den Korrektur- und Kontrollarbeiten durch einen Computer wäre die Zeit- und Personalersparnis wesentlich. Für die Zukunft empfiehlt es sich ohne Zweifel, den Einsatz eines Computers ernsthaft in Erwägung zu ziehen.»

Die Kompetenzen
Die Kompetenzen des Grossen Gemeinderates legte das Organisationsreglement des Jahres 1972 fest. Es umschrieb die finanziellen Zuständigkeiten, übertrug dem Grossen Gemeinderat die Genehmigung von Reglementen und Plänen, die Zusicherung des Gemeindebürgerrechts, die Wahl der Kommissionsmitglieder und Beamten sowie die Organisation der Schulen und Kindergärten.
Nach zwölf Jahren wurde das Reglement überarbeitet. Die finanziellen Zuständigkeiten wurden aufgrund der Inflation erhöht, die Unterschriftenzahl für Referenden von 100 auf 200 Stimmen erhöht und die Amtszeitbeschränkung von zwei auf drei aufeinander folgende Amtsdauern erhöht. 

Die letzte Revision des Organisationsreglements erfolgte im Jahr 1999. Der Erlass wurde wesentlich verkürzt, indem alle Bestimmungen zu Abstimmungen und Wahlen in einem besonderen Reglement zusammengefasst wurden, ebenso wie jene zur Organisation des Grossen Gemeinderates und der ständigen Kommissionen. Die Amtszeitbeschränkung wurde aufgehoben. Auf die jährliche Budgetabstimmung wurde verzichtet, sofern keine Änderung der Steueranlage erfolgte oder kein Referendum ergriffen wurde. Die Finanzkompetenzen wurden wiederum erhöht. Die Zuständigkeit für Einbürgerungen übertrug man dem Gemeinderat. 

Die Abschaffungsinitiative
Am 26. Januar 1993 reichte ein Komitee eine Initiative mit 893 Unterschriften zur schnellstmöglichen Wiedereinführung der Gemeindeversammlung und der gleichzeitigen Aufhebung des Grossen Gemeinderates ein. Die Initiative war die Folge der Finanzkrise Anfang der 1990er-Jahre. Dem Komitee gehörten unter anderen drei Mitglieder des Grossen Gemeinderates und ein ehemaliger Gemeinderat an. Es begründete seine Forderung wie folgt:

  • Der Grosse Gemeinderat von Worb arbeitet immer weniger im Interesse der Mehrheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger.
  • Der Grosse Gemeinderat verabschiedet nahezu einstimmig Vorlage um Vorlage, die Mehrheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger verwirft sie aber an der Urne.
  • Der Grosse Gemeinderat spürt den Puls der Basis nicht mehr, er vertritt nicht die Mehrheit des Volkes.
  • Der Grosse Gemeinderat verliert sein Ansehen, für die Mehrheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger schwindet seine Glaubwürdigkeit.
  • Im Grossen Gemeinderat wollen immer weniger gute Köpfe mitarbeiten, trotz intensiver, aufwendiger Wahlvorbereitungen wird es sicher bei den nächsten Wahlen nicht besser.
  • GGR-Wahlliste: viel lächeln, viel versprechen; GGR-Diskussionen und Beschlüsse: fast nur noch Interessenpolitik.

Der Grosse Gemeinderat beantragte den Stimmberechtigten mit 36 zu 0 Stimmen, die Initiative abzulehnen und argumentierte:

  • In den Jahren 1990 bis 1994 wurden 36 Vorlagen zur Urnenabstimmung unterbreitet. Dabei folgten die Stimmberechtigten in 29 Fällen der Empfehlung des GGR. Von den lediglich sieben abgelehnten Geschäften handelte es sich in fünf Fällen um Budgetvorlagen.
  • Der GGR verabschiedete in den Jahren 1990 bis 1994 16 Geschäfte unter Vorbehalt des fakultativen Referendums. Nur ein einziges Mal wurde das Referendum tatsächlich auch ergriffen.
  • Die Stimmbeteiligung anlässlich der letzten drei GGR-Wahlen betrug 53,5 Prozent. Gemeindeversammlungen in grösseren Gemeinden werden durchschnittlich von 1,9 bis 3,3 Prozent der Stimmberechtigten besucht. Der GGR vertritt damit die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse besser.
  • An Gemeindeversammlungen wird erfahrungsgemäss in starkem Mass Interessenpolitik betrieben. Interessengruppen können durch Mobilisierung ihrer Mitglieder an den schlecht besuchten Gemeindeversammlungen sehr leicht Beschlüsse nach ihrem Wunsch erwirken.
  • Der GGR kontrolliert den Gemeinderat und die Verwaltung sehr effektiv. Eine Gemeindeversammlung ist dazu viel weniger in der Lage.

An der Gemeindeabstimmung vom 12. März 1995 folgten die Stimmberechtigten dem Antrag des Grossen Gemeinderates: Die Initiative wurde bei einer Stimmbeteiligung von rund 46 Prozent mit 2434 zu 1017 Stimmen verworfen.

Die Parteienstärken
Für die politischen Entscheide im Grossen Gemeinderat sind die Stärkeverhältnisse der Parteien von gros­ser Bedeutung. Grafik Nr. 1 zeigt, wie sich diese in den letzten dreizehn Legislaturen entwickelt haben. 
Die Sozialdemokratische Partei hat rund 28 Prozent, die Schweizerische Volkspartei gut 25 Prozent und die Freisinnig Demokratische Partei 21 Prozent aller verfügbarer Sitze besetzt. Die übrigen 26 Prozent entfielen auf die übrigen Parteien.
Es zeigen sich auch markante Veränderungen in der Parteienlandschaft. Bei den ersten Wahlen traten fünf Listen an, 1997 waren es deren neun und 2021 nurmehr wieder fünf. Die ehemals starke Wählergruppe Neue Wähler/Freie Wähler Worb büsste ihren Einfluss nach und nach ein und wurde 2004 aufgelöst. In den 1980er-Jahren gab es eine Wählergruppe mit dem Namen «Wer stimmt – gewinnt», in den 1990-er Jahren die Autopartei beziehungsweise Freiheitspartei. Seit 1993 vertritt eine Partei besonders Umweltanliegen. Sie trat zuerst unter dem Namen Freie Liste, später als Grüne Freie Liste und zuletzt als Grüne auf. In den letzten Jahren sind mit der BDP, der GLP und der Mitte neue Parteien dazugekommen. 

Die Vertretung der Ortschaften
Die Gemeinde Worb umfasst die Ortschaften Enggistein, Richigen, Ried, Rüfenacht, Vielbringen, Wattenwil/Bangerten und Worb. Keine dieser Ortschaften hat garantierte Sitze im Grossen Gemeinderat. Grafik Nr. 2 zeigt, wie die Ortschaften jeweils zu Beginn der dreizehn Legislaturen vertreten waren.
Aus Worb stammten im Durchschnitt 64 Prozent aller Parlamentsmitglieder, dies bei einem Bevölkerungsanteil von 54 Prozent. Rüfenacht stellte 22 Prozent der Parlamentsmitglieder bei einem Bevölkerungsanteil von 31 Prozent. Es folgen Vielbringen mit fünf, Richigen mit knapp vier und Enggistein mit 3,5 Prozent. Wattenwil/Bangerten und Ried stellten etwas mehr als ein Prozent. 

Die Vertretung der Geschlechter
Während der vergangenen 50 Jahre stellten Frauen zu Beginn der Legislatur zwischen 15 und 37,5 Prozent der Ratsmitglieder, Grafik Nr. 3.
Bemerkenswert ist, dass der Frauenanteil nach einem Höhepunkt im Jahr 2005 wieder abgenommen hat.

Die Vertretung der Generationen
Auf Grafik Nr. 4 ist zu sehen, wie stark sich das Durchschnittsalter in den dreizehn Legislaturen verändert hat.  Von 1973 bis 1993 sank es tendenziell. Seither stieg es an. Zu Beginn der Legislatur 2021 bis 2024 war es mit 48,8 Jahren am höchsten.

Die Personen im Alter zwischen 40 und 59 Jahren stellen in den letzten fünfzig Jahren 67 Prozent aller Parlamentsmitglieder. Am stärksten vertreten ist die Altersgruppe der 40 bis 49 Jahr alten Personen mit 38,8 Prozent, gefolgt von den 50 bis 59 Jahre alten Personen mit 28,3 Prozent. Die grösste Altersspannweite weist das aktuelle Parlament auf. Das jüngste Mitglied war am Beginn der Legislatur 19 Jahre alt, das älteste 74 Jahre, Grafik Nr. 5.

Die parlamentarischen Vorstösse
Die parlamentarischen Vorstösse erlauben es den Fraktionen und Ratsmitgliedern, eigene Themen auf kommunaler Ebene zur Sprache zu bringen. Wie häufig davon Gebrauch gemacht wurde, zeigt die Tabelle in Grafik Nr. 6.
In den vergangenen 50 Jahren wurden 994 parlamentarische Vorstösse eingereicht, das sind knapp 20 pro Jahr. Am häufigsten wurden mit 36 Prozent das Postulat eingesetzt, mit dem der Gemeinderat beauftragt wird, einen Sachverhalt abzuklären. Die einfachen Anfragen und Interpellationen folgen mit 25 und 22 Prozent an zweiter und dritter Stelle. Bei diesen beiden Vorstössen muss der Gemeinderat die Fragen der Fraktionen und Parlamentsmitglieder beantworten. Rund 16 Prozent der Vorstösse sind Motionen. Sie beauftragen den Gemeinderat, dem Grossen Gemeinderat ein Geschäft zur Beschlussfassung zu unterbreiten. In nur rund der Hälfte der Fälle erklärte das Parlament die Motionen auch als erheblich, so dass tatsächlich ein Auftrag an den Gemeinderat ergeht.
Wie die Grafik auch zeigt, schwankt die Zahl der eingereichten Vorstösse sehr stark. Der Höchststand von 117 Vorstössen wurde in der Legislatur 2009 bis 2012 erreicht. In der darauffolgenden Legislatur gab es den Tiefststand von 62 Vorstössen. 

Ausblick
Im 50. Jahr des Bestehens des Gros­sen Gemeinderates wird erneut eine Überarbeitung der Gemeindeordnung vorbereitet. Der Grundsatz, dass es ein Parlament gibt, ist dabei unbestritten. So darf man gespannt sein, wie sich die politische Institution des Grossen Gemeinderates in der kommunalen Politik weiterentwickeln wird. CHRISTIAN REUSSER

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In Rüfenacht steht ein weiteres Verdichtungsprojekt an. An der Hinterhausstrasse, wo heute noch das alte Aebersold Bauernhaus steht, soll eine Wohnüberüberbauung, bestehend aus vier Gebäuden, errichtet werden. Das dafür benötigte Areal wird von der Gemeinde gekauft und im Baurecht abgegeben.

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In unserem täglichen Leben, spielt das Virus, das die Welt von 2020 bis 2022 fest im Griff hatte, zum Glück keine grosse Rolle mehr. Um bei möglichen kommenden Krisen besser gerüstet zu sein, hat der Gemeinderat eine Befragung unter den Behörden und angeschlossenen Institutionen durchgeführt. Nun sollen organisationsübergreifende Konzepte erarbeitet werden, um die Handlungsfähigkeit auch im Krisenfall zu gewährleisten.

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Auf Basis von einer Umfrage wurden Velostrecken in der Gemeinde Worb überprüft. 48 Fahrverbote für Velos und E-Bikes, die aus Sicht des Gemeinderates unnötig sind, sollen nun schrittweise aufgehoben werden.

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