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Der Chor der reformierten Kirche Worb. Bild: zvg

«Dem heiligen Sant mauritzen an sinen baw»: Geschichte und Kunst der Worber Kirche

Das historische Dorfbild von Worb wird heute noch vom augenfälligen alten Schloss und der Kirche mit dem markanten Turm geprägt, wobei der sakrale Bereich wesentlich älter ist als der weltliche. Daraufhin weist einerseits das Patrozinium (Schutzheiliger einer Kirche) des heiligen Mauritius, das üblicherweise ins erste Jahrtausend zurückreicht. Die archäologischen Untersuchungen in den 1980er Jahren haben andererseits gezeigt, dass an der Stelle der heutigen Kirche bereits ein Holzpfostenbau stand, der wohl bereits im 7. oder 8. Jahrhundert entstand. Allerdings fehlen dem Gebäude jegliche Hinweise auf die Funktion als christliches Gotteshaus. 

Konkret fassbar wird die Kirche erst mit dem romanischen Bau aus dem 11. Jahrhundert, ein so genannter Einapsidensaal, d.h. ein Schiff, das heute noch besteht, mit einer halbrunden Apsis, in der der Altar stand. Der Grösse nach scheint es sich für damals um eine bedeutende bernische Landkirche gehandelt zu haben. Dieser Bau wurde bis kurz vor der Reformation verschiedentlich umgebaut und ausgemalt. Im 13. Jahrhundert ersetzte ein grösseres, rechteckiges Altarhaus die einstige Apsis. Auf der Nordseite ist noch ein zugemauerter romanischer Eingang mit einem eichenen Türsturz und einem Entlastungsbogen zu erkennen. Die heutige, trapezförmige Decke wurde während der letzten Restaurierung eingebaut. Ursprünglich war das Schiff mit einer flachen Decke versehen. Nach 1430 entstanden die unteren Teile des Turmes. Das Glockengeschoss und der spitze Helm kamen aber erst kurz nach 1700 dazu. 

Im Lauf der jüngsten Restaurierung kamen Fragmente einer einstigen Ausmalung des Schiffs aus dem 15. Jahrhundert zum Vorschein. Erkennbar sind an der Westwand hinter der Orgel Teile einer Folge aus der Schöpfungsgeschichte, die Erschaffung Evas, der Sündenfall sowie Eva mit Spinnrocken, Christus in der Wiege und Adam, der das Feld bestellt. In einem heute zugemauerten romanischen Fenster auf der Nordseite wird die Darstellung des Heiligen Jakobus von Santiago de Compostela und von Bernhard von Clairvaux, des Gründers des Zisterzienserordens gezeigt. In der südöstlichen Stirnseite sind in einer Nische noch Fragmente einer gotischen Figur neben Rankenmotiven zu erkennen. Die Nische öffnete sich einst gegen einen nicht mehr vorhandenen Anbau. Die Wandmalereien dürften aus dem Umkreis jener Werkstatt stammen, die auch die Kirche von Belp ausmalte.

Der bedeutendste Eingriff geschah in den Jahren 1520/21, als die Familie von Diesbach, die kurz vorher die Kirchenrechte (Patronatsrechte) erworben hatte, an Stelle des rechteckigen romanischen Altarhauses einen neuen, langgestreckten Chor mit reicher Ausstattung errichten liess. Entsprechend erhielt auch das Schiff neue, grosse Spitzbogenfenster. Als kurz nach dem Chorneubau im Kanton Bern die Reformation eingeführt wurde, trennten die Diesbach den Chor vom Schiff mit einem Gitter ab. Das Schiff unterstand fortan der Kirchgemeinde und diente als Raum für den reformierten Gottesdienst. Der Chor hingegen blieb als Privatkapelle und Grabstätte im Besitz der Schlossherren von Worb. Dadurch entstand im Laufe der Zeit ein einzigartiges Ensemble von Grabplatten, die während der letzten Restaurierung entfernt und ausserhalb der Kirche aufgestellt wurden. 

Als 1840 die Feudalrechte im Kanton Bern aufgehoben wurden, fiel der Chor zusammen mit dem Schiff an die Kirchgemeinde. Das Gitter zwischen Schiff und Chor wurde entfernt. In dieser Form dient die Kirche bis heute als Pfarrkirche von Worb. 1932/33 fand eine erste, für die Erforschung der Geschichte der Kirche verhängnisvolle Restaurierung statt. Damals verschwanden zahlreiche Zeugen aus der Vergangenheit hinter einer unnötigen Vormauerung. Einige davon konnten während der Restaurierung von 1983/84 wieder sichtbar gemacht werden. 

Durch den Umbau durch Ludwig II. von Diesbach erhielt die Kirche von Worb eine besondere Bedeutung unter den bernischen Landkirchen. Er liess den Chor erheblich vergrössern und von einem bedeutenden Steinmetz in spätgotischer Manier mit einem Netzgewölbe und Masswerkfenstern versehen. (s. Kasten) Auch das Schiff erhielt neue gotische Spitzbogenfenster. Vorerst diente es zusammen mit dem neuen Chor der Feier der katholischen Messe. Dazu standen im Scheitel des Chores ein Altar, daneben ein Tabernakel (Verwahrungsort der Hostie), sowie Priestersitze. Der reich behauene Taufstein dürfte vorerst im Schiff gestanden haben. 

Mit dem neuen Chor entstand eine reiche Ausstattung mit einem Chorgestühl, einem Taufstein und einem Ensemble von vortrefflichen Glasscheiben. Die obere Reihe der drei mittleren Chorfenster umfasst drei Scheibenpaare, auf denen jeweils ein kniender Bischof in vollem Ornat dargestellt ist, dem sein Wappen, bekrönt von der Mitra, gegenübergestellt wird. Im nordöstlichen und im südöstlichen Fenster befinden sich unter den bischöflichen Doppelscheiben je zwei Scheibenpaare mit den Diesbach-Wappen. Auf allen vier Wappen erscheinen ein Rad und eine Spindel, die Insignien der heiligen Katharina vom Berg Sinai, was darauf hinweist, dass die als Stifter der Scheiben auftretenden Familien von Diesbach eine Wallfahrt ins Heilige Land unternommen haben (s. Kasten). 

Eine eigenartige Stellung nimmt das Chorgestühl ein. Sehr wahrscheinlich stammt es aus der Zeit unmittelbar nach der Einführung der Reformation im Jahr 1528. In seiner Gesamtanlage weist es durchaus die Eigenarten eines spätgotischen Gestühls für die Mitglieder einer christlichen Gemeinschaft (meist Mönche, Domherren etc.) auf. Die einfachen, schmalen Rückfelder werden von Muschel­lünetten bekrönt. Darüber finden sich bei den seitlichen Stühlen runde Verdachungen mit Flachschnitzereien und einer Attika mit Darstellungen von Dolden, Delphinen, Vasen, Füllhörnern und anderen Motiven. Hier sind die einstigen Chorstühle für Geistliche zu einfachen, profanen nachreformatorischen Sitzgelegenheiten für die Familie Diesbach geworden. 

Auch der in seinem Aufbau aussergewöhnliche Taufstein stammt aus dem frühen 16. Jahrhundert, der Zeit des Chorneubaus. Auf vier Seiten sitzen zwei geflügelte Putten und zwei Adler. Der eine Putto trägt die Sphaira (das kugelförmige Weltall) und das Kreuz, der andere eine Blume und einen Lorbeerkranz. Die verschiedenen Binnenflächen sind reich mit Masswerken, Blattwerk und weiteren Putten besetzt. Am obersten Rand erscheint sogar ein Totenkopf. Die Bildinhalte der Putten zusammen mit den Adlern sind schwer zu deuten. Die Putten weisen auf Christus als Herrscher des Kosmos und auf das ewige Leben hin, der Adler war im Spätmittelalter oft Herrschafts-, Christus- und Taufsymbol in einem.

Wenn in der Ausstattung gesamthaft auch die gotische Formensprache vorherrscht, so lassen sich doch überall Einflüsse der in Italien bereits auf dem Höhepunkt angelangten Renaissance erkennen. 

Die Kirche von Worb wird vor allem durch die Gestalt geprägt, die sie im 16. Jahrhundert erhalten hat. Dank dem von einem charakteristischen spätgotischen Netzgewölbe überfangenen Chor und der einmaligen Ausstattung mit Glasmalereien aus der Werkstatt von Lukas Schwarz, mit einem Gestühl und einem prächtigen Taufstein in der Zeit der Wende von der Spätgotik zur Renaissance entstanden, gehört die Kirche von Worb zu den bedeutendsten Landkirchen im Kanton Bern.

Ein gotisches Gewölbe für eine bernische Landkirche 
Die Überwölbung des neugestalteten Chores von 1520/2 stellte damals im Gebiet des Kantons Bern die Ausnahme dar. Es ist anzunehmen, dass der Steinmetz, der dieses kunstvolle Netzgewölbe entwarf, auch an bedeutenderen Bauten tätig war. Die Rippen, ausgehend von Konsolen an den Wänden, laufen an zwei Stellen in zwei Schlusssteinen zusammen. Die Dübellöcher dieser sternförmigen Werkstücke lassen vermuten, dass hier runde Holztafeln mit religiösen Motiven (z.B. das Lamm Gottes) angebracht waren. Vielleicht haben sich hier auch die Diesbach mit ihren Wappen verewigt. Die die Rippen begleitenden Malereien mit Bollenfriesen und Pfauenaugen wurden während der jüngsten Restaurierung aufgrund von Befunden rekonstruiert. Ähnliche Motive finden sich auch im Schloss von Worb.

Waren die Diesbach in Jerusalem?
Die vier neben dem Wappen mit Helm, Löwe und Blattwerk reich verzierten Glasscheiben der Diesbach im Chor zeigen auch die Insignien der Ritter des Ordens der heiligen Katharina vom Berg Sinai (Rad und Spindel). Die ersten Ritterorden waren zur Rettung des christlichen Glaubens vor allem im Heiligen Land ins Leben gerufen worden. In Verbindung mit dem Besuch der Heiligtümer wie die Grabeskirche oder der Passionsweg in Jerusalem stehen u.a. die Ritterorden des heiligen Grabes und der Katharina von Sinai. Ihre Abzeichen sind das Kreuz von Jerusalem sowie das Schwert, das Rad und die Spindel der heiligen Katharina. Der Schlag zu einem Ritterorden wurde gewöhnlich von einem König erteilt. 

Das heute griechisch-orthodoxe Katharinenkloster wurde im 6. Jahrhundert gegründet und gehört zu den ältesten Klöstern des Christentums. Es liegt am Fuss des Bergs Sinai an der Stelle, wo sich Gott Moses im brennenden Dornbusch offenbart haben soll. Hier sollen sich auch die sterblichen Überreste der heiligen Katharina befinden, die von Engeln nach ihrem Märtyrertod in Alessandria hierhergebracht worden waren. Allerdings ist die Existenz von Katharina historisch nicht belegt und die Legende bleibt eine Legende. Ab dem 14. Jahrhundert wurde das Kloster im Westen nach ihrem Namen benannt. 

1447 berichtet Hans von der Gruben (Juwelier und Freund Ludwigs und verheiratet mit Agnes von Diesbach), dass Ludwig von Diesbach anlässlich eines Besuches bei König Alphons von Neapel den Ritterschlag erhalten habe und ihm der Orden der heiligen Katharina verliehen wurde. Ludwig als Sohn des von Kaiser Sigismund mit einem Wappen belehnten Niklaus von Diesbach war dem höheren Stande angehörig und deshalb zu «allen ritterlichen Sachen und gescheften» berechtigt. Damit waren die Diesbach wohl befugt, die Insignien der heiligen Katharina im Wappen zu tragen. Dieser Ritterschlag erfolgte wohl auf einer Reise, die von der Gruben 1447-50 mit Ludwig von Diesbach nach Italien, Frankreich, Spanien und Deutschland unternahm. Bereits 1440 begleitete er Ludwig von Diesbach zudem nach Palästina. 1467 unternahm er eine zweite Reise nach Palästina und auf die Halbinsel Sinai mit Wilhelm und Niklaus von Diesbach.

Die Insignien der Katharina in einem Wappen werden gewöhnlich so interpretiert, dass die Stifter dieser Scheiben zum Ritterorden der heiligen Katharina gehörten und eine Wallfahrt in das Heilige Land unternommen haben sollen, um den Leidensweg Christi in Jerusalem nachzuempfinden. Die Diesbach scheinen tatsächlich in Jerusalem gewesen zu sein. Andernorts werteten herrschaftliche Geschlechter wie beispielsweise die von Roll in Solothurn ihren Lebenslauf gerne zu Unrecht mit diesen Insignien in den Wappen auf.

Im Übrigen war es zu dieser Zeit nicht mehr unbedingt notwendig, den beschwerlichen Weg einer Wallfahrt nach Jerusalem zum Grab Christi auf sich zu nehmen. Überall entstanden in Europa so genannte Kreuzwege als Abbild des Leidenswegs Christi in Jerusalem. Ein besonders schönes Beispiel befindet sich in der Nähe von Solothurn. Der Weg mit weitgehend rekonstruierten Wegkreuzen führt von der Kirche St. Niklaus bis zur Kreuzenkapelle oberhalb der Verenaschlucht. Hier ist im Chor der Kirche das Grab Christi in allen Details, wie es damals in Jerusalem ausgesehen hat, nachgebildet. 

Samuel Rutishauser, Kunsthistoriker

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