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Büste
Ludwig Scholz, der weltläufige Schlossherr, Kolonialist und Nazi, der nach Worb herein wirkte. Im Privatbesitz. Bild: Micha Riechsteiner, Worb.

Gedanken zur Worber Geschichte: Worb in der Welt – die Welt in Worb

Die Gemeinde Worb ehrt neuerdings in einem «Ehrungsanlass» Personen, Gruppen, Mannschaften und Vereine, die Besonderes geleistet haben. Am 12. November 2021 fand zum erstenmal eine derartige Veranstaltung statt. Wegen seiner Verdienste um die Worber Geschichte wurde auch der Präsident der IG Worber Geschichte, der Rüfenachter Historiker Marco Jorio, geehrt. Er hielt die Festansprache, die hier in einer etwas überarbeiteten Form abgedruckt wird. Die Redaktion

Universitäre Historiker rümpfen oft die Nase über die Lokalgeschichte und betreiben lieber nationale oder gar transnationale Geschichte – heute ein Modewort. Zu Unrecht. Auch Worb und seine Geschichte sind mit der grossen, weiten Welt verknüpft – mehr, als viele glauben. Die Welt ist in Worb – Worb ist in der Welt. Das ist genau das, was mich an der Worber Geschichte interessiert und fasziniert. Diese Verbindung möchte ich in meinen Arbeiten auch aufzeigen. Dazu zuerst zwei persönliche Geschichten.

Es war vermutlich um 1997. Wir wohnten erst seit drei Jahren in Rüfenacht. Ich arbeitete im Garten und hörte meinen Nachbarn, Rudolf Weiersmüller (Kästchen), mit dröhnender Stimme im Freien auf Englisch ins Telefon brüllen. Ruedi Weiersmüller war damals Schweizer Botschafter in Teheran und vertrat als solcher auch die USA im Iran, weil die Schweiz dort bis heute die Interessen der USA vertritt. Das war und ist daher einer der weltpolitisch wichtigsten Posten, den die Schweiz im diplomatischen Dienst zu vergeben hat. Nach dem Telefon fragte ich ihn, warum er überhaupt in Rüfenacht sei und nicht in Teheran. Er sagte lachend: «Die Mullahs haben mich wieder mal heimgeschickt. Sie sind wütend auf die USA, weil diese eine Flotte samt Flugzeugträger in den Persischen Golf geschickt haben. Ich habe vorhin mit dem State Department in Washington wegen einer US-Geisel verhandelt.» Ich riet ihm, doch bitte nicht im Freien herumzubrüllen, man höre ihn ja bis ins Dorf hinunter. Das Gespräch mit dem iranischen Aussenministerium führte er dann immerhin aus dem Hausinnern.

Und wenn die Weltpolitik vor der eigenen Haustüre liegt, ist auch die Weltgeschichte nicht weit. Und tatsächlich wurden wir bereits damit konfrontiert, bevor wir überhaupt in die Gemeinde Worb zogen, nämlich schon bei der Hausbesichtigung. Diese wurde von Martina Wille, Gümligen, organisiert. Es stellte sich rasch heraus, dass sie die Frau des dritten Korpskommandanten aus der Familie Wille, von Fritz Wille, dem Enkel des Generals Ulrich Wille aus dem Ersten Weltkrieg, war und sie selber – und das ist schon fast ein Witz der Geschichte – die Enkelin des Generalstabschefs Theophil von Sprecher. Dieser war nämlich ein erbitterter Gegenspieler von Ulrich Wille. Es handelte sich also quasi um eine Julia- und Romeogeschichte in der Enkelgeneration. Und anstatt das Haus zu besichtigen, musste ich mir alle Details der skandalösen Generalswahl vom 3. August 1914 anhören: wie der Ueli (Wille) bei Grosspapa, welcher der Hauptkandidat der Bundesversammlung für die Wahl zum General war, im Automobil bei Sprechers vorfuhr, unangemeldet die Treppe ins Schlafzimmer hochstürmte und den Grosspapa in Anwesenheit der Grossmama, die – wichtiges Detail! – auf dem Bettrand sass, anschrie und drohte: «Theophil, wenn du General wirst, mache ich dir das Leben schwer!». Worauf der Grosspapa auf die Bitte von Grossmama auf die Wahl verzichtete und Wille General wurde. Die Enkelin war nach 80 Jahren immer noch persönlich so verletzt, dass sie ihre erzürnte Rede mit der Feststellung schloss: «Auch mein Mann sagt: Der Ueli, sein Grossvater, war ein richtiger S…» (was folgte, ist nicht publizierbar). Schliesslich erfuhr ich auch, dass der Verkäufer des Hauses von Weizsäcker hiess und ihr Neffe sei.

Weizsäcker! Da klingeln beim Historiker alle Glocken. Mir war sofort klar, mit wem wir es hier zu tun hatten. Wir standen da mitten in der Schweizer und deutschen, ja europäischen Geschichte. Was ich jetzt erzähle, ist nichts Geheimes und alles in Wikipedia oder in Geschichtsbüchern nachzulesen. Der Grossvater unseres Verkäufers war Ernst Freiherr von Weizsäcker, deutscher Botschafter in Bern 1933–1937, dann Staatssekretär des Nazi-Aussenministers Ribbentrop und selber SS-Oberführer (entspricht ungefähr einem Obersten). Er wurde dann nach dem Krieg als Kriegsverbrecher verurteilt. Sein Sohn und Vater unseres Verkäufers war der Atomphysiker Carl Friedrich von Weizsäcker, der in seinen jungen Jahren an Hitlers Atombombenprogramm mitarbeitete und später der jungen Bundesrepublik als Philosoph, Friedensforscher und Präsident des deutschen evangelischen Kirchentags den Weg zu Demokratie und Freiheit wies. Sein Bruder Richard von Weizsäcker, der in Bern die Schulen besuchte, war 1984 bis 1994 deutscher Bundespräsident und ist somit der Onkel unseres Rüfenachter Weizsäcker. Carl Friedrich, also der Vater unseres Christian Weizsäcker, hatte die Enkelin von General Ulrich Wille, Gundelana Wille, geheiratet, die er während der Botschaftertätigkeit seines Vaters in Bern kennen gelernt hatte. Dadurch kam die Verbindung Weizsäcker – Wille zustande, die der scharfzüngige Niklaus Meienberg in seinem Buch «Eine Welt als Wille und Wahn» (1987) polemisch geschildert hat. Der Vater von Christians Mutter, Oberstkorpskommandant Ulrich Wille II, Sohn des Generals Ulrich Wille und damit Grossvaters unseres Verkäufers, war der Gegenspieler von General Gui­san. Zwischen den beiden flogen die Fetzen, u.a. als Guisan in Gümligen sein Hauptquartier hatte und der Armeestab in Worb sass, bis ihn Guisan zum Ärger der Deutschen in Pension schickte. Unser Verkäufer wuchs teilweise bei seinem Grossvater, dem Korpskommandanten, in Feldmeilen auf und sprach daher, zu unserer Überraschung, ein breites Zürideutsch. Er war von 1982 bis 1986 Wirtschaftsprofessor in Bern und wohnte in Rüfenacht, bevor er nach Köln berufen wurde. Ein Überbleibsel aus der Ära Weizsäcker in Rüfenacht sind übrigens die Glögglifrösche (Geburtshelferkröten), die der junge Weizsäcker als Schüler mit Hilfe von Lehrer Ueli Neuenschwander, dem «Chrotte-Ueli», auf unserem Grundstück ansiedelte und die sich seither prächtig entwickelt haben und jeden Sommerabend ihr klingelndes Konzert zum Besten geben. 

Ich werde oft gefragt: Wie kommst du zu allen diesen Themen, die du in der Worber Post oder in den Referaten der IG behandelst? Es ist wie beim Tischtuch – wenn man an einem Ende zu ziehen beginnt, kommt eines um das andere zum Vorschein. Dazu ein Beispiel: Peter Schmutz, Vorstandsmitglied in der IG Worber Geschichte, erzählte einmal, dass das Schloss Worb ein Nazi-Nest gewesen sein soll; sein Vater, damals noch ein junger Bursche, brachte als Ausläufer Brot aufs Schloss und musste jeweils der politischen Polizei melden, wie viele Brötchen er jeweils geliefert hatte. Die Polizei wollte wissen, ob und wie viele Nazis sich möglicherweise im Schloss versteckt hielten. Der Name des Schlossherrn war immer bekannt – der Deutsche Ludwig Scholz, der 1915 das Schloss gekauft hatte und im November 1939 starb. Aber von seinem Leben wusste man praktisch nichts. Deutsche Kollegen halfen mir dann und fanden in der bayerischen Staatsbibliothek sogar eine Festschrift. Das war eine düstere Figur! Heute würde er wahrscheinlich vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag landen: Als deutscher «Kolonialpionier» in Deutsch-Südostafrika, heute Namibia, erwarb er sich ein riesiges Vermögen, u.a. durch den Export einer potenzfördernden Rinde des Yohimbibaumes, quasi ein biologischer Vorläufer von Viagra. Reich wurde er aber vor allem durch seine Diamantenmine. Im Aufstand der Herero und Nama von 1904 gegen die deutsche Kolonialmacht rückte er mit einer Privatarmee gegen die aufständischen «Neger», wie sie damals genannt wurden, vor und war ziemlich sicher am Völkermord an den beiden afrikanischen Stämmen beteiligt. Heute ist der Hereroaufstand in Deutschland ein grosses Thema und es wird diskutiert, inwiefern die Massaker Vorläufer des Holocaust waren. Die Briten haben dann seinen ganzen Besitz in Namibia beschlagnahmt; den Rest seines Vermögens verlor er dann in der Inflation der 1920er Jahre in Deutschland. Scholz verarmte und konnte nicht einmal mehr die Kantons- und Gemeindesteuern in der Höhe von Fr. 85 000.– zahlen, davon Fr. 17 000.– für die Gemeinde Worb.

Also zog ich weiter am Tischtuch der Schlossgeschichte: Zufällig und fast versteckt fand ich die Notiz, dass der schweizerische Nachrichtendienst auch einmal im Schloss einquartiert gewesen sein soll. In Worb wusste niemand etwas davon. Nach Recherchen stellte sich heraus, dass nicht nur der Nachrichtendienst, sondern sogar der ganze Generalstab bzw. Armeestab von Juni 1940 bis März 1941 in Worb war, und zwar in einer der gefährlichsten Zeiten des Zweiten Weltkriegs. Hier wurden das Reduit und Guisans Rütlirapport erfunden, nämlich in der Haushaltungsschule. Und plötzlich fanden sich auch Zeitzeuginnen, die sich noch an den General und den Armeestab erinnern konnten. Das war ja das Thema verschiedener WoPo-Artikel im Jahr 2021.

Aus der Welt nach Worb
Ludwig Scholz
wurde am 13. Mai 1867 in Köln geboren. Nach der Buchhändlerlehre in Osnabrück reiste er 21-jährig nach Afrika und begann eine lukrative Karriere in den noch jungen deutschen Kolonien, zuerst in Kamerun, wo er Plantagen mit Kakao, Kaffee und Tabak betrieb. Dann gründete er 1902 im heutigen Namibia seine eigene Firma. Er investierte in den deutschen Kolonien, aber auch in Deutschland, wo er unter anderen die Dornierwerke am Bodensee mitbegründete. Bei Kriegsausbruch 1914 kehrte er nach Deutschland zurück und stellte sich dem Auswärtigen Amt für eine «möglichst schwierige Ausland-Mission» zur Verfügung. Unklar ist, ob er deswegen 1915 das Schloss Worb erwarb. Jedenfalls bekämpfte er während des Ersten Weltkriegs in Schweizer Zeitungen den «Lügenfeldzug gegen Deutschland». Von Worb aus versuchte er nach 1918 vergeblich beim Völkerbund in Genf Entschädigungen für die Verluste der deutschen Kolonisten zu erlangen. 1937 trat er der NSDAP bei und unterhielt enge Beziehungen zu Schweizer Frontisten. Im Schloss Worb richtete er sich ab 1930 ein Atelier ein und schuf eine Reihe von Tonfiguren, vor allem Büsten von Kolonisten und Nazis. Verarmt starb er am 10. November 1939 in Worb. Das Schloss vermachte er der von ihm gegründeten «Dr. Ludwig Scholz-Stiftung», die den Zweck hatte, im Schloss ein Erholungsheim für deutsche Kolonisten und Nazis einzurichten. Dazu kam es aber nie. Dafür wurde er ab 1925 vom Schweizer Staatsschutz beobachtet.

Manchmal hilft der Zufall: Wenn zum Beispiel Hans-Ueli Steinmann 2019 einen Stall bauen will und die Archäologen dabei auf eine mittelbronzezeitliche Siedlung stossen, ist das Jahresthema 2020 gegeben, ohne dass wir dazu etwas beitragen mussten. Niemand wusste bisher, dass es nicht erst seit den Römern in der Villa an der Sonnhalde vor 2000 Jahren, sondern bereits vor 3500 Jahren Worberinnen und Worber gegeben hat (WoPo 8/2020). Auch zufällig stiess ich auf die dramatischen DDR-Flucht-Geschichten zweier Worber. Ernst Remund meldete sich bei mir und erzählte die filmreife Geschichte der von ihm organisierten Flucht mit seiner künftigen Frau, einer DDR-Augenärztin, aus Mali; wie sie mit einem Motorboot seiner Firma auf dem Fluss Senegal in einer sternenklaren Nacht aus Mali nach Senegal flüchteten und gleich noch die vierköpfige Familie des DDR-Missionschefs mitnahmen (WoPo 7/2017). Aber eine DDR-Geschichte war nicht genug: Plötzlich kam Bernhard Cloe­tta, ein Kollege im Vorstand der IG Worber Geschichte, zu mir und sagte: Ich auch! Und so konnte ich seine viel schlimmere Geschichte von 1964/65 erzählen: Zwar gelang es ihm mit einem Mitstudenten einen jungen Mann aus der DDR zu schmuggeln. Aber sie selber wurden dabei geschnappt, verhaftet und dann monatelang im Stasi-Gefängnis Höhenschönhausen inhaftiert. Sofort setzten die politischen Bemühungen zur Befreiung der beiden Studenten ein: Die Bundesbehörden sperrten die Einreisevisa für DDR-Offizielle in die Schweiz und verhinderten damit deren Zugang zur UNO in Genf. Sie liessen sich auch nicht durch eine sowjetische Intervention beim UNO-Generalsekretär beeindrucken. Nach einem Schauprozess in Ost-Berlin und der raschen Begnadigung durch Walter Ulbricht wurden die beiden jungen Schweizer schliesslich nach West-Berlin ausgeschafft (WoPo 4/2019, 5/2019). Ein wahrer West-Ost-Krimi aus dem Kalten Krieg – erlitten und erzählt von einem Worber.

Wie oftmals aufgezeigt: Worber Geschichte und die Geschichte der Worberinnen und Worber kann man nicht trennen von der allgemeinen und der Schweizer Geschichte – das ist der rote Faden, den sowohl ich wie auch die IG Worber Geschichte sicher weiterspinnen werden. MARCO JORIO

Scan-IG-Worber-Geschichte
Ruedi Weiersmüller, der Worber, der in die Welt hinaus wirkte. Bild: zvg

Von Worb in die Welt
Rudolf Weiersmüller
wurde am 10. August 1939 in Teufen (AR) geboren, wo er aufwuchs. Nach der Handelsmatura in St. Gallen und einem Praktikum beim Schweizerischen Bankverein war er vier Jahre IKRK-Delegierter und Entwicklungshelfer in Nepal. 1966–1971 Studium der Nationalökonomie an der Universität Bern und Eintritt in den diplomatischen Dienst. Diplomatische Stationen waren Neu Dehli, Mexiko, Dhaka, Ottawa, Caracas und 1984–1988 als Botschaftsrat mit dem Titel eines Ministers in Bonn. Dazwischen arbeitete er im Exekutivsekretariat der KSZE in Helsinki (1974) und war im EDA Leiter der Sektion für kulturelle Angelegenheiten sowie Koordinator für internationale Flüchtlingspolitik. 1993–1999 war er Botschafter der Schweiz in Teheran und vertrat in dieser Eigenschaft die Interessen der USA im Iran. Er beschloss seine diplomatische Karriere 1999–2004 als Botschafter in Budapest. Er wohnte ab 1985 in Rüfenacht. Von seinen Auslandposten aus und während seinen Aufenthalten in der Schweiz engagierte sich Rudolf Weiersmüller in der Bürgergruppe Rüfenacht und schrieb während Jahren als Kolumnist für die Worber Post. Er starb am 13. Dezember 2004 in Rüfenacht.

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In unserem täglichen Leben, spielt das Virus, das die Welt von 2020 bis 2022 fest im Griff hatte, zum Glück keine grosse Rolle mehr. Um bei möglichen kommenden Krisen besser gerüstet zu sein, hat der Gemeinderat eine Befragung unter den Behörden und angeschlossenen Institutionen durchgeführt. Nun sollen organisationsübergreifende Konzepte erarbeitet werden, um die Handlungsfähigkeit auch im Krisenfall zu gewährleisten.

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Auf Basis von einer Umfrage wurden Velostrecken in der Gemeinde Worb überprüft. 48 Fahrverbote für Velos und E-Bikes, die aus Sicht des Gemeinderates unnötig sind, sollen nun schrittweise aufgehoben werden.

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