Der Klimawandel schreitet voran und Wetterkapriolen wie Dürreperioden oder Starkregen gehören mittlerweile schon fast zur Normalität. Das setzt besonders die Landwirtschaft unter Druck: Anbausysteme müssen überdacht und gegebenenfalls angepasst werden. Neben der regenerativen Landwirtschaft setzt der «radieslihof» nun auch auf Agroforste, um den neuen klimatischen Bedingungen zu begegnen.
Ortstermin Samstagnachmittag, 18. November. Für einmal in diesen Tagen hält sich der Regen zurück. Wie üblich auf dem in solidarischer Landwirtschaft geführten Betrieb an der Bodengasse, haben sich über 30 Mitglieder des Vereins «radiesli» eingefunden, um bei dem anstehenden Arbeitseinsatz mitanzupacken. Das Tagesziel ist sportlich: 40 Bäume und rund 50 Sträucher sollen gepflanzt werden. Agroforste kombinieren Bäume und mehrjährige Sträucher mit landwirtschaftlichen Kulturpflanzen auf derselben Fläche. Diese Form der Landnutzung ist in der Schweiz schon seit Jahrhunderten bekannt, bedenke man die Waldweiden im Jura, Kastanienhaine im Tessin oder der klassische Hochbaumobstgarten. Dass diese Baumreihen, die im besten Fall aus unterschiedlichen Arten bestehen, auch auf Äckern stehen können, ist in der Deutschschweiz bislang noch wenig bekannt. Dabei bieten Agroforste mehrere Vorteile. Zum einen entsteht Lebensraum und Futter für Nutztiere sowie Kleinwild, Vögel und Insekten, zum anderen haben sie Einfluss auf mikroklimatische Bedingungen, indem sie ausgleichend auf Temperaturextreme und Nährstoffkreisläufe wirken. Sie fördern die Kohlenstoffbindung im Boden und reduzieren Bodenerosion und Nährstoffverluste. Durch Nüsse, Beeren und die Gewinnung von Wertholz bedeuten diese Pflanzungen auch eine Erweiterung des Angebots für die Betriebe.
«Neben der ökologischen Vielfalt steht für uns der Wasserhaushalt und die Bodenfruchtbarkeit besonders im Fokus», wie Ursina Töndury, Verantwortliche für die Öffentlichkeitsarbeit, ausführt. In den vergangenen Sommern mussten auch die Felder und Äcker des «radieslis» häufiger bewässert werden, was zu erheblichen Mehrkosten führt. Damit die Bäume die angebauten Kulturpflanzen nicht konkurrieren und die Bewirtschaftung mit Traktoren nicht erschwert wird, werden die Bäume speziell geschult, sprich Wurzeln und Kronen werden so beschnitten, dass sich die Wurzeln tief in den Boden entwickeln, damit die Kulturpflanzen und Wiesen nicht benachteiligt werden. Ähnlich wird mit den Kronen verfahren, damit sie möglichst hoch hinauswachsen und beispielsweise ein Mähdrescher ungehindert an den Baumreihen vorbeifahren kann.
Diversität machts aus
Nicht nur bei den Feldfrüchten wird auf dem «radieslihof» auf Vielfalt gesetzt, auch der Agroforst setzt sich aus verschiedenen Arten zusammen. So werden verschiedene Nusssorten wie Baumnuss, Edelkastanie oder Pecannuss gepflanzt, die mit Wildobst und Beeren sowie verschiedenen Laubbäumen und Sträuchern wie Weiden, Eschen oder Erlen ergänzt werden, und diese Aufzählung ist nur eine kleine Auswahl. Die Weiden der Rinder und Ziegen werden mit sogenannten Futterhecken bepflanzt, die den Tieren als zusätzliche Futterquelle dienen sollen. Die Pflanzung der ersten drei Baumreihen vom 18. November ist erst der Auftakt, der Agroforst soll noch erweitert werden. Eine Klimaanpassung in diesem Ausmass ist für einen einzelnen Betrieb finanziell kaum tragbar. Dank den grosszügigen Fördergeldern der Schweizer Stiftung VISIO Permacultura und dem Fonds Landschaft Schweiz, sowie Beiträgen von Kanton und der Gemeinde Worb, kann dieses Projekt umgesetzt werden.
Dass noch weitere Anpassungsmassnahmen getroffen werden müssen, kann derzeit nicht ausgeschlossen werden. «Man sieht schon jetzt, dass es bei Gemüse und Getreide Sorten gibt, die unter der Hitze leiden», so Ursina Töndury. Dieses Jahr hat sich das im Besonderen bei den Kartoffeln gezeigt, denen im vergangenen Sommer nicht nur die Hitze, sondern auch Kartoffelkäfer stark zugesetzt haben. Hingegen gedeihen Wassermelonen und Süsskartoffeln mittlerweile sehr gut. Dass es bei Gemüse- und Getreidesorten zu weiteren Anpassungen kommt, schliesst Ursina Töndury also nicht aus. «Dank unserer Vielfalt auf dem Hof können wir im Kleinen ausprobieren, was sich bewährt.» AW
www.radiesli.org