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2108_Vis-à-vis_Andy Marchand

Vis-à-vis mit Andy Marchand, Infektionsketten-Zurückverfolger

«Als Schüler war ich ein enfant terrible, ein agent provocateur. Die Lehrer brachte ich zur Weissglut, auf meiner ewigen Suche nach Grenzen. Als ich selber Lehrer wurde, waren mir die schwierigsten Fälle unter den Kindern am liebsten. I ha nie düredräiht, aber mit de Schüeler Gränze usglotet. Auch im Schulhaus Worbboden, wo ich unter anderem für den IT-Bereich verantwortlich war. Und weil wir weitherum als erste Schule Windows 10 einführten, schauten mich einige Augen genauer an. Bald erhielt ich Stellenangebote im Bereich Bildungsinformatik. Ich nahm eines an. Grenzerweiterung.

Am 28. Februar 2020 riss mich ein Anruf von Schutz+Rettung Bern aus dem Alltag: Andy daher! Der Bundesrat habe heute Morgen um 10 Uhr verkündet, keine Veranstaltungen mehr mit über 1000 Personen zuzulassen. Und am Nachmittag hätte in Bern die Kinderfasnacht stattfinden sollen … Der Stadtpräsident und der zuständige Gemeinderat wünschten einen sofortigen Lage-Rapport. Dies war der Start meiner Arbeit im Regionalen Führungsorgan der Stadt Bern, ein spannender Ritt auf der ersten Pandemiewelle. Am 26. Juni 2020 beschloss der Kanton dann jedoch, Corona wäre vorbei. Zwei Tage später mussten wir unsere Räumlichkeiten besenrein abgeben. Das Kantonsarztamt suchte allerdings noch Hilfen für ‹Restarbeiten›, für zwei bis drei Wochen. So kam ich zum Contact Tracing.

Von da an hatte ich keinen IT-Job mehr, denn es hiess: Schnure mit de Lüt. Meine Aufgabe war: Menschen, die mit Corona-Positiven engen Kontakt hatten, über die nächsten Schritte zu informieren. Kooperative, Wütende, Verzweifelte. Die Bandbreite an Emotionen, die mir am Telefon entgegenschlug, war enorm. Nach der einen oder anderen Quarantäne-Anordnung wurde ich in allen Sprachen der Welt übelst beschimpft, da waren nicht mal Fremdsprachkenntnisse nötig. Eine andere Person begann sofort zu schluchzen und meinte: Jitz bin i äuä z spät, mis Teschtamänt no z mache. Ich war für sie der Sensemann.

Bei einem Kontakt zu einer Italienerfamilie verfolgten wir, wie das Virus von Alt zu Jung und wiederum von Jung zu Alt bis in die feinsten Verwandtschafts-Verästelungen weitergegeben wurde. Die Sache war so komplex, dass bei einem Telefongespräch vier Personen aus unserem Team notwendig waren. Einer, der telefonierte, zwei, die das Gespräch transkribierten, und einer, der auf einem grossen Papier den Stammbaum der Familie aufzeichnete.

Oder der 18-Jährige. Ein unbeschwertes Gespräch, er schilderte mir seine Ferien mit Kollegen in Kroatien. Baden, sünnelen, Frauen aufreissen, Partys in der Ferienwohnung – ‹so richtigi Gieleferie›, wie er frohlockte. Dann ging es einem nach dem anderen schlechter, er selbst merkte die Symptome auf der Heimfahrt an einer Tankstelle, als er ein Chorizo-Sandwich kaufte, das nach nichts schmeckte. Ebensowenig das Zitronenkonzentrat und die Chili-Schokolade, die er zu Kontrollzwecken konsumierte. Wenn man bei meiner Arbeit auch schmunzeln konnte, dann hier. Und da:

Die bald 95-Jährige, die ich über ihre Corona-Infektion informieren musste. Ich erfuhr erst am Telefon, dass sie bereits im Spital lag, wo sie wegen einer Hüftoperation eingewiesen worden war. Dort steckte sie sich dann an. Ich ging fest davon aus, dass unser erstes Gespräch auch unser letztes war. Trotzdem versprach ich ihr, sie nach zehn Tagen wieder anzurufen. Drei Tage später entdeckte ich sie auf einer Liste. Es war keine Todesfallmeldung, sondern betraf eine Verlegung. In die Palliativabteilung eines Altersheimes. Zwei Tage später kam die Meldung, sie läge in der Intensivabteilung eines Spitals. Ich wusste definitiv, jetzt wars um sie geschehen. Drei Wochen später entdecke ich sie per Zufall auf einer Liste mit einer Labormeldung. Negativ. Solche Personen rufen wir sonst nicht an, aber hier sagte ich mir: Dere lüten ig jitz a. Und man glaubts nicht, aber ihr gings wieder gut, ihre einzige Sorge war die Hüfte, die noch nicht so tat, wie sie es gern gehabt hätte.

Was will uns die ganze Corona-Geschichte lehren? Von den Thesen ‹Die Natur will hier ein Zeichen setzen› oder ‹göttliche Fügung› bin ich nicht Fan. Eine Sinnhaftigkeit sehe ich hinter der Frage: Ist es legitim, was wir im Alltag machen? Ist es richtig, wo all das Geld hinfliesst? Für mein persönliches Leben heisst mein Motto schlicht: Ich gebe jeden Tag mein Bestes, zugunsten meiner Mitmenschen. Und suche neue Grenzen.

Heute arbeite ich bei der Gesundheitsdirektion wieder im IT-Bereich. Ich habe das Contact Tracing zwecks Effizienzsteigerung soweit möglich digitalisiert, obschon ich gern mal wieder telefonieren würde. Denn was es auch gab, hängt bei mir an einer Bürowand: Ds einte oder andere Dankeschärtli.»

Aufgezeichnet von Bernhard Engler

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