«Falls Sie mich im Titel als Ex-Brigadier*in bezeichnen, können Sie alleine weitermachen. Ich habe auch schon das Wort ‹Brigadeuse› gelesen, so analog zur Fritteuse. Die Franzosen handhaben die Differenzierung so: Sie sprechen zum Beispiel von der Madame la Colonelle, also von der Frau des Oberst. Madame le colonel wäre dann die Gradträgerin selbst. Für mich gibt es damit Klarheit. Das ganze Gender-Getue geht mir auf den Nerv, es wird langsam lächerlich.
Ich habe mal eine geschlechtsneutrale Ausschreibung gemacht, die dadurch völlig unleserlich wurde. Wohlgemerkt: Ich bezeichne mich als Feministin, in unserer Familie eine der dritten Generation. Aber die Sternchengeschichte lenkt nur von den eigentlichen Problemen ab, die da wären: Lohnungleichheiten, sexistische Äusserungen. Solche, die weder in der Erziehung noch in der Öffentlichkeit geahndet werden, zum Beispiel wenn Knaben gegenüber Mädchen blöde Bemerkungen machen. Ich vermute, dass dahinter eine falsch verstandene Inferiorität steckt. Dass also Männer Angst haben, dass Frauen besser wären. Spannend daran ist, dass in aller Regel Knaben durch Mütter erzogen werden.
‹I fouge nid ere Frou›, hat mir ein Mann im Armeedienst mal erklärt. ‹Und Ihrer Mutter habt Ihr nicht gehorcht?›, fragte ich zurück. So erlebte ich im Armeedienst einiges. In einem Rapport schloss der Referent mit ‹Meine Herren, nehmen Sie Platz›. Ich blieb dann stehen, denn das war einfach unachtsam von ihm. Ein schlichtes ‹Bitte nähmet Platz› hätte gereicht. Gutgemeinte Umschreibungen sind immer kompliziert und schwerfällig, und am Schluss sind die Frauen Schuld daran. Ich beziehe bei meinen Überlegungen immer die Machbarkeit mit ein.
Ob ich im Militär eher eine Hardlinerin oder ein Softie war? Wenn man Frauen fragt, war ich der Softie-Typ, wenn man Männer fragt, war ich ein ‹Räf›. Interessant ist, dass ich mit starken Männern nie Probleme hatte, und sie mit mir auch nicht. Aber mit den Schwachen … Als ich Brigadier wurde, hätte ich Anrecht auf einen Mercedes gehabt. Ich wollte allerdings bei meinem Opel bleiben, was für einige Männer ein Riesenproblem war.
Ins gleiche Kapitel gehört meine Angewohnheit, dass ich trotz meinem militärischen Grad nie herumschrie. Ich sammelte die Leute immer nahe um mich herum, so dass ich nicht laut sprechen musste. Jemand sagte mir später: ‹Bist Du wahnsinnig, die Leute zu Dir zu rufen? Jetzt übten wir doch wochenlang, laut zu sprechen!› Dass ich das eben nicht machte, hat seinen Grund. Weil Frauen normalerweise in einer höheren Tonlage als Männer sprechen, beginnen sich ihre Stimmen zu überschlagen, wenn sie dazu noch laut sprechen – was wiederum dazu führt, dass sie als hysterisch wahrgenommen werden. Jemanden laut zusammenzustauchen hat nur jemand nötig, der keine Autorität hat. ‹Umebrüele› signalisiert Unsicherheit und Unfähigkeit, das ist alles. Es hat überhaupt nichts mit Militär zu tun.
Zwar interessiert mich das Militär heute immer noch, ich lese Artikel darüber, aber sonst gilt für mich das Motto ‹servir et disparaître›. Ich bin so weit weg vom Fenster, dass ich die Entscheidungen der Armee nicht mehr bewerten kann. In meinem Alltag arbeite ich jetzt auf kleinem Feuer als Polarity-Therapeutin. Die Behandlung gilt als Komplementärmedizin und vereint westliche Medizin mit fernöstlichen Heilkünsten. Und damit das Zusammenspiel von Körperteilen. Der Mensch ist immer im Mittelpunkt und das ist das, was mich interessiert. Die Polarity-Welt erlebe ich dabei nicht etwa als Gegenwelt zur militärischen Vergangenheit, sie ist eben komplementär. Auch in der Armee kam bei mir der Mensch an erster Stelle, ein Vorgesetzter von mir erwähnt mal die vier ‹M›. Man muss Menschen mögen.
Als Therapeutin gleiche ich vor allem Energien aus. Ich bringe meine Klienten dazu, bei einem Problem den Gegenpol miteinzubeziehen. Wenn jemand an der linken Schulter verletzt ist, arbeite ich an der rechten Schulter um der linken zu signalisieren, wie es gehen würde. Wobei bei mir vieles über das Gespräch läuft, am Schluss ist meine Behandlung oft ein Lebenscoaching. Und die Resultate sind grossartig. Obwohl in meinem Vornamen das Wort ‹Genie› steckt weiss ich trotzdem nicht, ob ich irgendwo im Leben ein Genie bin. Wenn schon, dann vielleicht dort: Ich kann gut zuhören.
Trotz meinem Einsatz für Frauen habe ich nicht das Gefühl, dass ich einer Mission folge – die hatte ich als jung. Ich hatte mich dermassen für Frauen eingesetzt, dass mir mein Vater sagte: ‹Dä Ma, wo Di mal wott hürate, muess zersch no erfunde wärde.› Gefunden hatte ich ihn dann trotzdem, er brachte zwei Kinder mit in die Ehe und beides war für mich ein Riesengeschenk.
Die Polarität erlebte ich nicht nur im Militär und jetzt bei meinen Behandlungen, sondern auch an der Seite meines Bruders, dem Kabarettisten. Er ist natürlich eher links, aber ich liebe ihn heiss. In den Ansichten sind wir nämlich gar nicht so weit voneinander entfernt, nur der Weg dazu ist unterschiedlich. Und Humor haben wir beide. Ich sammle Witze, und mir kommt zu unserem Polaritäts-Thema grad einer in den Sinn. Ein ganz doppelbödiger: Warum wurden Frauen zweitausend Jahre lang unterdrückt? Es het sech bewährt.»
Aufgezeichnet von
Bernhard Engler