Vis-à-vis mit Felicitas Pfister, Loch-Macherin

«Ich selber habe zwei Piercings am linken Ohr. Wars das? Das wars und es bleibt dabei.

Im Piercing-Studio arbeite ich seit zwölf Jahren, es ist meine hauptberufliche Tätigkeit. Ich studierte Germanistik, arbeitete parallel dazu in Museen, an Kassen – Studentenjobs halt. Als Deutschlehrerin wartet die Welt nicht auf mich, sagte ich mir nach dem Studium, doch wie finanziere ich mein Leben? Um mir ein Nasenpiercing zu machen, besuchte ich in dieser Zeit ein Piercing-Studio – jenes, in dem ich heute arbeite. Dort machte es ‹Click›, danach folgten rund zwei Jahre mit tausend Übungs- und Ausbildungspiercings, immer in Begleitung von meinem Ausbildner.

Niemand sagt dir in meinem Job ‹so und so musst du es machen›, hier hast du gestalterische Freiheit und musst gleichzeitig viel Verantwortung übernehmen. Mit den Jahren sieht man, wie sich die Ideen des Publikums verändern. Junge Teenies wollen ihr erstes Bauchnabel-Piercing, und plötzlich taucht die Nachfrage nach Lippenpiercings auf, und plötzlich … Die turbulenten Teeniejahre, wo man auch provozieren will. Diese Veränderungen haben nicht nur mit Moden, sondern auch mit den Bedürfnissen von Alterskategorien zu tun. Die Mitte-Dreissigjährigen wollen ‹einfach etwas für schön›, bei Fünfzigjährigen hört man ‹ich will jetzt wieder mal was für mich machen›. Meine älteste Kundin war 93-jährig und wurde von ihren Kindern und Enkeln begleitet. Es war deren gemeinsames Geburtstagsgeschenk an die alte Frau, und es entsprach wiederum ihrem Geburiwunsch. Nachdem das Piercing gestochen war, gabs natürlich ein allseitig grosses Hallo.

Ein Piercing soll den Kunden Freude machen, nicht nur für den Moment – und trotzdem kommt vielleicht die Zeit, wo man es nicht mehr will. Mein Credo ist: Ich mache nur das, was anatomisch sinnvoll und risikofrei ist, und was auch wirklich vollständig ausheilen kann. Nach einem Eingriff gibt es bei uns immer eine Nachkontrolle, der Kunde unterschreibt bereits vor dem Piercen zudem eine Einverständniserklärung. Man pflanzt immerhin einen Fremdkörper in einen Menschen.

Die meisten Piercings sind sehr oberflächlich, gehen nie weit unter die Haut. Aus der Sicht von Akupunkteuren arbeiten wir vermutlich nicht so oberflächlich, wie wir meinen, sondern sind mit unserem Schmuck ‹zmitts drin›. Es gibt auch Leute, die zu uns kommen, um sich bestimmte Akupunkturpunkte piercen zu lassen, zum Beispiel gegen Migräne – diesen Punkt am Ohr kennen wir bestens. Leider gibt es zu den Zusammenhängen von Piercen und den Energiebahnen noch keine wissenschaftlichen Untersuchungen.

So wie jeder Mensch und jedes Piercing einmalig ist, so gross ist der kreative Umgang damit. Beim Piercen gibt es einzelne Steinchen, die man am Körper festmachen kann. Einer Kundin habe ich zwanzig solcher kleinen Implantate auf dem Rücken fixiert, in einer Reihe zwischen den einzelnen Wirbeln. Sie halten für drei bis vier Jahre und auf meine Frage an die Kundin, was sie denn mache, wenn eines davon abfalle, war ihr dies völlig egal.

Zu mir kommen Bodenständige, Provokateure, Heimlifeisse. Man kann nicht schubladisieren. Und da gab es auch diesen Fall: Ein bildschönes junges Modi wollte sich auf dem Nasenrücken zwischen den Augen ein Piercing machen. Da blutet mir schon ein wenig das Herz, schliesslich ist die Stelle ausgesetzt und die Narben sind später gut zu sehen. Aber mein Job heisst auch, die Wünsche und Vorstellungen meiner Kunden zu respektieren, selbst wenn sie sich nicht immer mit meinen eigenen decken.

Ich habe Kunden, die in völlig aufgeräumter Stimmung auf mich zukommen, andere haben Angst. Das Thema Schmerz kommt regelmässig aufs Tapet, doch da kann ich beruhigen. Der Pieks des Einstiches spürt man ähnlich wie eine Spritze vom Hausarzt. Manche empfinden den Moment kurz vor dem Einstich wie die Situation, wenn man von einem 10-Meter-Sprungbrett ins Wasser springen sollte. ‹Spinne ich eigentlich?›, fragen sie sich. Ich muss mich jedes Mal mit Befindlichkeiten der Kunden auseinandersetzen, nicht nur mit dem Äusseren.

‹Was wosch du?›, ist immer die erste Frage, die ich den Kunden stelle. Für mich selbst läuft im Hintergrund jeweils gleich die zweite Frage mit: Wär bisch du und wär wosch gärn sii?»

Aufgezeichnet von 
Bernhard Engler

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