«Ich bin Deutsche und heisse Schweizer. Als ich meinen Mann heiratete, dachte ich: Wenn schon, dann mache ich es gleich richtig. Für das Einbürgerungsprozedere musste ich dann kräftig lernen, zum Beispiel die Telefonnummer der Ambulanz oder welcher Bundesrat welches Departement innehat und für was man dort zuständig ist. Die Prüfung habe ich bestanden, wobei man die Note nicht erfuhr. Jetzt besitze ich zusätzlich den Schweizer Pass, seit sechs Jahren.
Im Holti, auf der nördlichen Seite des Dentenbergs, fühle ich mich willkommen, zuhause. Dieses Gefühl begann schon in Bern, als ich als frisch ausgebildete Köchin in die Schweiz einreiste. Ich hatte die Wahl zwischen einem Angebot in Zürich, einem Hotel auf der Rigi und dem Hotel Bellevue in Bern – und wählte Letzteres.
Mein längster Arbeitstag dauerte 32 Stunden. Er hatte mit einem Staatsempfang im Landsitz Lohn zu tun, nahtlos danach folgte ein normaler Arbeitstag mit einer Aktionärsversammlung inkl. 400 Mittagessen und an Nachmittag ein Apéro für rund 700 Personen. In der Bellevue-Zeit habe ich Millionen von Canapés gemacht, eine Vorspeise umfasste schnell mal zwölf Komponenten: zum Beispiel einen ‹Teppich› mit einer Kürbisscheibe, die mit Frischkäse umrandet war. Auf den Frischkäse waren Erbsen gelegt und auf dem Kürbis gab es einen Ring vom Räucherlachs. Im Ring war eine Blumenblüte, gefaltet aus dünnen Randen, Rettich, Rüebli und Gurkenscheiben. Ausgarniert mit feinen Kräutern und Salatblättern.
Dass man in der Küche eines Fünfstern-Hotels machmal Stress hatte, ist klar, hie und da wurde auch geschrien. Stress pur war es im Allgemeinen trotzdem nicht, es gab zwar sehr strenge Zeiten, aber sie waren schön. Und nach getaner Arbeit war man stolz auf das, was man geleistet hat. Wir waren ein lustiges Team und hatten viel Spass. Ganz früher hatte man die Lernenden, nach bestandener Prüfung, noch in einem grossen Kochkessel mit Mehl und Wasser getauft – eine Riesensauerei! Oder nach Feierabend ist zu später Stunde der eine oder die andere in der Altstadt noch in einem Brunnen eine Runde schwimmen gegangen.
Vor gut acht Jahren wechselte ich meine Stelle und arbeite jetzt in einem Demenzheim. Der Anfang war nicht leicht, weil es einfach zwei verschiedene Welten sind, ich war aber von Anfang an gut aufgehoben und fühle mich sehr wohl. Dort muss ich auf anderes als im Bellevue achten, denn man bezieht das Essen extern und wir sind vor allem für die Essensverteilung zuständig: Man passt auf Bewohner mit Schluckbeschwerden auf oder man versucht, spezielle Wünsche zu berücksichtigen. Eine extra Portion Nudeln anstatt des verpönten Blätterteigs. Parallel dazu schaut man auf Dinge, die mit seelischer Nahrung zu tun haben: indem man den Dementen zuhört, ein paar Minuten mit ihnen spricht, ihnen die Hände gibt, ein Lächlen schenkt. Das Wichtigste ist, Zeit und Achtsamkeit in Kombination mit heiterer Gelassenheit anzuwenden. Es geht bei mir darum, ein gutes Gefühl zu verbreiten – und um mein eigenes gutes Gefühl am Abend, dass ich am Tag vielleicht jemandem eine spezielle Freude gemacht habe.
Morgens und abends gehe ich in den Stall, mein Mann ist Landwirt. Ich assistiere ihn dort beim Misten, Kälber tränken, Schweine füttern. Diese erhalten ganz normales Futter, hin und wieder eingeweichtes, trockenes Brot. Solche Arbeiten sind für mich kein Muss, sondern gehören zum natürlichen Ablauf eines Tages.
Beim Kochen zuhause achte ich auf möglichst regionale und saisonale Produkte. Sicher gibt es mal Ausnahmen, wichtig sind für mich auch die Bedingungen, unter denen ausländische Lebensmittel angebaut werden. Unserem kleinen Sohn mache ich eine Freude mit Pommes frites und Schnitzel, mein Mann isst am liebsten Salzspeck mit Kartoffeln und Sauerrüben, umgekehrt kocht er mir gute Cordons bleus. Mein Lieblingsessen serviert mir meine Mutter, wenn ich in Deutschland bin: Kassler-Fleisch, das ist so was Ähnliches wie unser Rippli, dazu Sauerkraut und Kartoffeln. Ich schätze die ‹währschafte› Küche sehr, in der Schweiz nehme ich gern an einer Metzgete teil oder esse mit Wonne Speck, Sauerrüben und ein Erbsmus. ‹No go’s› gibt es bei uns nicht viele, ich hasse einzig Rosenkohl, zudem kommen Froschschenkel und Schnecken sicher nicht auf den Tisch.
Wenn man mich bei einem Einbürgerungsprozedere nach einem Schweizer Dialektbegriff fragen würde, wäre heute die Antwort: Bärner Platte.»
Aufgezeichnet von
Bernhard Engler