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2306_Vis-a-vis-Pierre-Reischer-(Foto-definitiv)

Vis-à-vis mit Pierre Reischer, Alp-Hirte

«Seit dem 5. Juni findet man uns auf der Urdenalp bei Tschiertschen, im Graubünden. Für diese Zeit haben wir in Vielbringen einen Untermieter gefunden, Anfang Oktober kehren wir dann zurück. Der Abschied in Vielbringen war durch Wohnung putzen und Packen geprägt, existenziell waren aber dort nur ein paar wenige Dinge, die wir nicht vergessen durften: Feldstecher, Funkgeräte, die richtigen Kleider und unsere beiden selber geschnitzten Hirtenstecken.

Dazu noch: Meine Frau hat kürzlich einen Globus gekauft, um ein bisschen Welt auf die Alp mitzunehmen. Ich selber werfe ab und zu einen Blick aufs Handy, aber es bleibt oft während Tagen unbeachtet. Die Samstagsausgabe unserer Tageszeitung erreicht uns in gedruckter Form, wo sie unten im Dorf – bei den Eltern der Frau unseres Alpmeisters – in einer Kiste im Stall für uns aufbewahrt wird. Wenn’s gut geht, wird dort auch die Worber Post landen, mit unserem Artikel drin.

Dass ich als freiberuflicher Kameramann seit Jahren die Sommermonate auf einer Alp verbringe, hat nichts mit Burn-out und auch nichts mit Auszeit zu tun. ‹Auszeit› tönt zu sehr nach Ferien, währenddem es einem natürlichen Bedürfnis von mir entspricht, einen anderen Rhythmus zu spüren, und vielleicht näher am Leben zu sein. Mein Besuch bei einem Freund auf einer Alp machte den Anfang, und meine Kameraaufnahmen für eine Fernsehsendung ‹Ab auf die Alp› waren die zusätzliche Motivation, es als Alphirt auszuprobieren. Ich mache es diesen Sommer zum elften, mit meiner Frau zusammen zum vierten Mal.

Meine Partnerin und ich arbeiten auf der Alp sehr gleichberechtigt. Und ich behaupte, wir haben beide ein gutes Auge für Kühe. Wir beobachten aufmerksam, wie sie fressen und laufen, wir medikamentieren sie bei Bedarf und zählen sie dreimal pro Woche. Die Kontrolle geschieht über Funk, wo eines von uns die Ohrmarken liest, und das andere notiert die Nummern auf einer Liste. Aber ganz am Anfang unserer Alpzeit zäunen wir vor allem. Das Zäune setzen dauert fast zwei Monate, die verschiedenen Weiden umfassen eine Gesamtlänge von 26 Kilometern, alles im steilen Gelände.

Eine klarere Arbeitsteilung gibt es dann eher in der Alphütte, und meine Partnerin ist diejenige, die eher die Wäsche macht und das Administrative erledigt, ich dagegen produziere den Geisskäse und koche gern, durchaus Währschaftes. Rösti oder Älplermagronen, dazu backe ich Brot – das Mehl beziehen wir von einem Bauern aus Vielbringen. Dass ich punkto Kuhhirten mehr Erfahrung als meine Partnerin habe, trägt womöglich dazu bei, dass die Bündner Bauern spontan gleich mit mir sprechen, die Bauersfrauen dann mit ihr. Vielleicht steckt da auch etwas Patriarchalisches dahinter.

Die Zeit auf der Alp ist eine heilsame Zeit. Unser sechsjähriger Sohn hat viel Zeit für sich zum Spielen, in einem selbstgebauten Hüttli oder an den zahlreichen Bächen – und es kommt ihm entgegen, dass eine Freundin von uns für eine schöne Zeit aushilft und ihren Gleichaltrigen mitnimmt. Für unseren Sohn ist die Zeit auf der Alp eine besondere Zeit. Er hilft bei vielen unserer Tätigkeiten ganz automatisch mit. Zäunen kann man sehr spielerisch machen, und extrem gerne hilft er bei den Weidewechseln mit, die Kühe zu treiben, wo er auch ein gutes Auge für die Tiere entwickelt. Es kam auch schon vor, dass er uns auf eine Kuh aufmerksam machte, die seltsam lief, wegen herumliegenden Steinen Klauenprobleme hatte.

270 Tiere, Mutterkühe mit ihren Kälbern, hüten wir, darunter eine Herde Yaks, dazu drei Geissen für frische Milch, drei Hühner für Eier, plus unsere Katze. Unter den Kühen gibt es Gudrun, unsere Lieblingskuh. Sie hat schon zweimal auf der Alp gekalbert, was die Bauern gewöhnlich vermeiden, aber es ging nichts schief. Durch den Umstand, dass wir Gudrun in der Zeit vor dem Kalbern sehr gehätschelt haben, wurde sie sehr zutraulich und liess uns problemlos an das Kalb heran, was andere Kühe nicht toleriert hätten. Mit der Kuh Hanni verbindet uns etwas Besonderes – sie ist die, die während dem Trinken dem Brunnen immer den Stöpsel zog, so dass wir ihn ständig auffüllen mussten, bis ein Bauer dann extra eine Stop-Vorrichtung baute. Kühe habe ich sehr gern und es sind nur wenige einzelne, die man nicht so mag. Weil sie aggressiv sind, gierig, nicht schön, einzelgängerisch – oft in Kombination. Leicht bekloppte Kühe gibts halt auch.

Alpenkitsch? Mit dem Begriff kann ich nicht viel anfangen. Meine Eindrücke – ob durch einen Regenbogen oder einen Sonnenuntergang geprägt – sind mit Schönheit verbunden. Man lässt diese zu, nimmt sie in sich hinein, da ist kein Platz mehr für Trennung, für intellektuelle Distanziertheit. Die Wetter- und Lichtstimmungen in den Bergen wechseln laufend, und als Kameramann sage ich mir manchmal: Ah, das wär jitz es schöns Bild! Eindrücke, die nicht in den Kamerasensor, sondern direkt ins Herz gehen. Der nächste DOK-Film, wo ich Kameramann bin, wird im Schweizer Fernsehen im August ausgestrahlt. ‹Die Schweiz und die Kuh› heisst er, und meine Alphirten-Erfahrung half mir da natürlich. Ich wusste, wann ich einer Kuh trauen kann, sitzenbleiben kann, wenn eine auf mich zulief. Mittlerweile kann ich Kühe lesen.

Die Zeit, wenn wir vom Alpleben wieder Abschied nehmen müssen, wird bei mir dominiert von Wehmut. Wenn die letzten Kühe weg sind, ist das sehr emotional für mich. Ich brauche dann jeweils gut drei Wochen, bis ich wieder in den Vielbringer-Modus gelange. Im Dorf sind’s glaub nur zwei oder drei Bauern, die wissen, was ich so mache, dazu ein paar Eltern, die mit mir die Kindergärteler ins Schulhaus begleiten.

Bi de Chüe si. Einfach dort sein, mit ihnen sein. Es hat etwas sehr Beruhigendes für mich. Ihnen Salz geben, sie beobachten, und doch entspannt sein. Tönt fast ein bisschen buddhistisch, das Kuhhirten auf der Alp. Ufmerksam si im Si.»

Aufgezeichnet von 
Bernhard Engler

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