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Blick auf Rüfenacht. Bild: KS

Worber Ortsteile: Rüfenacht: Berner Agglomeration

Der grösste Worber Ortsteil hat den Charakter eines Berner Vororts. Wohnblöcke aus den 60er und 70er Jahren, Schlafort, Pendlerstrecke in die Stadt. Was ist vom alten Rüfenacht geblieben, wohin bewegt sich der urban gewordene Ort, in dem einst Adolf Ogi wohnte, als er in den Nationalrat gewählt wurde? Welche Rolle wird das neue Dorfzentrum spielen? Die Worber Post hat sich bei Otto Gurtner, Präsident der Dorfgemeinschaft Rüfenacht, und bei Paul Gfeller, Landwirt und Urgestein in Rüfenacht, auf die Suche nach Antworten gemacht.

Rüfenacht hatte schon in frühen historischen Zeiten eine Bedeutung, denn der Ort liegt an einer römischen Durchgangsroute zwischen Worblen- und Aaretal, und auch sein Name stammt wohl vom lateinischen «Rufiniacum» ab, was soviel wie «Gutshof des Rufinus» bedeutet. Rüfenacht gehörte zwar kirchlich zu Worb, war aber nicht Untertan der Adelsherrschaft Worb, sondern unterstand gerichtlich bis 1798 dem «Stadtgericht» der Stadt Bern. Erst seit 1920 gehört es vollständig zur Gemeinde Worb. Drei orange Sterne auf rotem Grund weisen im Rüfenachter Wappen auf die drei Orte hin, aus denen sich Rüfenacht zusammensetzt: das eigentliche Dorf, die Laupersfuhre (heute Langenloh) und das Sunnedörfli, die bis Ende der 50er Jahre noch voneinander getrennt waren. Das sehenswerte Schlössli Rüfenacht war früher ein Jagdschloss. 1957 setzte ein Bauboom ein, der aus dem Dorf eine typische Agglomerationsgemeinde machte. Von 1900 bis heute hat sich die Zahl der Einwohner Rüfenachts von 339 auf 3993 mehr als verzehnfacht. Die Wohnblocks der 60er und 70er Jahre zogen viele Familien mit Kindern und Immigranten an, denn sie waren günstig zu mieten. Weitere Pluspunkte sind auch heute noch die Schulen, die 350 Schüler bis zur 6. Klasse unterrichten, mehrere Kindergärten, Familiengärten und ein grosser Spielplatz im Ort. Trotz der urbanen Lebensweise sind Wälder und Wanderwege in malerischen Landschaften nicht weit. Besitzerin des Spielplatzes, der sehr gut unterhalten wird, der Grillstellen und der Familiengärten ist die Burgergemeinde Bern. Man orientiert sich eher Richtung Stadt, doch das ist wenig überraschend, denn Rüfenacht ist von Bern nur 6609 m Luftlinie und 20 Tramminuten entfernt. Mit drei Tramstationen und der Anbindung an das Postauto und den Moonliner ist Rüfenacht optimal mit Stadt und Land verbunden.

Die Dorfgemeinschaft 
Es gibt verschiedenste Vereine, den Verein Pfadiheim Rüfenacht, den Träff-Point, der soziale Anlässe bietet, den Verein Bibliothek Rüfenacht, den Spielgruppenverein «Näscht», den Volleyballclub VGT Rüfenacht, einen türkischen Elternverein, einen Ofehüsi-Verein, und schliesslich trainiert der Tischtennisclub Worb in Rüfenacht. Besonders bedeutend für das Dorfleben ist aber die Dorfgemeinschaft Rüfenacht DGR mit ihrem Präsidenten Otto Gurtner und sieben weiteren Vorstandsmitgliedern. Sie wurde 1957 gegründet, als der alte Spycher einem Neubau weichen musste und in die Dorfstrasse verlegt wurde. Die neu gegründete Dorfgemeinschaft kaufte das hübsche, aber baufällige Häuschen und sanierte es mithilfe der Bevölkerung. Die DGR gibt jeden zweiten Monat eine Zeitung heraus, die Spycher-Post, die an alle Haushalte Rüfenachts verteilt wird. Dort wird über alle Anlässe im Ort informiert, vom Neujahrs­apéro über die traditionelle Auffahrtswanderung bis zur Bundesfeier. Im August finden Events auf dem Robinsonspielplatz «Robi» statt, im November gibt es einen Hobbymärit im Kirchgemeindehaus, und im Dezember werden Adventsfenster gestaltet und ein Samichlaus organisiert. Nach dem Brand des Gasthauses Sonne sammelte die DGR Spenden für das Ehepaar Fritz und Kathrin Wüthrich, die den Landwirtschaftsteil der Sonne bewirtschafteten. Heute setzt sich die DGR für eine vermehrte Begrünung und bessere Nutzung des neuen Dorfplatzes sowie Mitsprache bei den geplanten weiteren Überbauungen im Zentrum ein. «Wir wollen unseren Dorfplatz beleben», sagt Otto Gurtner. «Das Hochhaus ist inzwischen recht gut akzeptiert, doch bei zukünftigen Überbauungen werden wir uns dafür einsetzen, dass es keine weiteren Hochhäuser gibt. Ein gros­ses Anliegen ist auch der Erhalt des Kastanienbaums, der seine wichtige, jahrzehntelange Funktion als Treffpunkt immer noch wahrnimmt.» Otto Gurtner freut sich sehr auf den neuen Sonnen-Markt, der ab August monatlich in Rüfenacht stattfinden wird. Er ist zuversichtlich, dass der neue Platz die Menschen zusammenbringt und ein neues Gemeinschaftsgefühl schaffen kann. Er streicht die Attraktivität der Lage Rüfenachts in sonniger Hanglage heraus und meint, dass eine Aufwertung des Ortes auch durch Sanierungen der älteren Wohnblocks bereits im Gange ist. 

Das Guggerseeli und die Biber
In den 1970ern wollte Walther Gugger, Besitzer eines grösseren Geländes im Rüfenachtmoos, dort eine Werkhalle erstellen. Nachdem die Baugrube ausgebaggert war, füllte sich diese mit Wasser. Paul Gfeller, sein Nachbar, erinnert sich noch genau an die Bagger und Maschinen, die dort im Einsatz waren, an Walther Gugger, der oft bis zu den Oberschenkeln im Schlamm versank, an die Lastwagen der Firma Brechtbühl, die den Bauschutt vom Umbau des Bahnhofs Bern nach Rüfenacht brachten, um damit das nasse Land aufzufüllen. Doch vergebens: Eine zweite Baubewilligung wurde nicht erteilt, der Bauherr starb, die Baumaschinen wurden abtransportiert und die Natur holte sich die Baubrache wieder zurück. Die neu gegründete IG Rüfenachtmoos setzte sich gegen den Willen der Erbengemeinschaft dafür ein, dass der neue See unter Naturschutz gestellt wurde. 1989 war es dann so weit. Es siedelten sich der Biber, die Geburtshelferkröte und weitere geschützte Tiere an. Doch der Schutz des Bibers ist für Landwirte wie Paul Gfeller nicht nur ein Segen. Die Tiere bauen Dämme und stauen so das Wasser im Moos. Darauf wachsen schliesslich Schilf und andere harte Gräser, womit das Kulturland verloren ist, denn nicht einmal die Pferde der Gfellers fressen diese Pflanzen und das Land eignet sich nicht mehr für den Ackerbau. 

«Sonnen»-Brand
Am 6. Februar 2012 wurde der Traditionsgasthof Sonne durch einen Grossbrand, ausgelöst durch ein überhitztes Ofenrohr, vollständig zerstört. Der Schock war riesig, denn die Gaststätte stammte aus dem Jahr 1844 und 1897 war dort der erste Telefonanschluss im Dorf in Betrieb genommen worden. Für Besitzer Beat Bernhard, Sohn des vorigen Wirtepaars und aufgewachsen in der «Sonne», war das Ereignis niederschmetternd. Das Wirtepaar Raffaele Cesarane und Maria de Fatima übernahm später die «Osteria d’Abruzzo» in Ostermundigen. Inzwischen ist der neue Dorfplatz mit dem Hochhaus knapp ein Jahr fertiggestellt, doch er ruft bei der Bevölkerung und Experten zwiespältige Reaktionen hervor; einerseits freut man sich über den Treffpunkt und die Möglichkeiten, die der Platz für Veranstaltungen bietet. Andererseits wird der Mangel an Bäumen kritisiert, gehen doch heutige Bestrebungen in der urbanen Bauplanung eher dahin, Plätze wieder zu entsiegeln und zu begrünen. Das Hochhaus passt für Teile der Bevölkerung nicht ins Ortsbild, aber immerhin gibt es mit den Einkaufsmöglichkeiten und dem Café Reinhard einen neuen Treffpunkt für die lokale Bevölkerung.

Bescheidener Wirtschaftsstandort
Rüfenacht beherbergt gemessen an seiner Einwohnerzahl nicht viele Betriebe. Mit Stucki Küchen ist ein gros­ser Betrieb mit Küchenausstellung und eigener Schreinerei an der Worbstrasse in Rüfenacht angesiedelt, dort befindet sich ebenfalls eine Vertretung der Firma VZug. Die traditionsreiche Firma Reusser ist spezialisiert auf Bodenbeläge, Vorhänge und hat eine Polsterei, die Firma Sisa Isolierungen bietet Dämmungen, Isolationen und Brandschutz an. Terra Vecchia zieht nach Worb, dort hat die Firma im Abtausch mit Marti Bau Land übernommen. Bei den «Chäsgielä» kann für Outdoor-Events Fondue gekauft und die Ausrüstung dazu gemietet werden. Drei Coiffeure bieten ihre Dienstleistungen an, ebenso ein Elektriker. 

Prägende Gfellers 
Nur noch eine Handvoll Bauernbetriebe im Nebenerwerb sind in Rüfenacht verblieben, einer davon liegt am Ortseingang auf der rechten Seite von Bern her kommend und gehört Paul und Ursula Gfeller. Auch Paul Gfeller arbeitet nur noch nebenbei auf dem Hof, lange war er als Lagerist angestellt. Das Haus stammt von 1847, hier lebten schon sechs Generationen mit 12 Personen gemeinsam unter einem Dach. Die Gfellers des letzten Jahrhunderts waren prägend für die Ortsentwicklung, sie bewirtschafteten ein riesiges Gebiet, das sie schliesslich innerhalb der Familie aufteilten. Es waren Gfellers, die 1944 den Gasthof Sonne bauten, Gfellers führten den ersten Dorfladen Rüfenachts, die «Handlung Gfeller». Ein Grossonkel war in der Kavallerie, die Mutter von Paul züchtete Ponys und vermietete als Erste in der Region Pensionsplätze für Pferde. Auch Ursula und Paul Gfeller halten Pferde, doch ab 2023 werden sie das Heimet ihrem Sohn und der Tochter übergeben. Paul Gfeller ist bekannt für die Dreschfeste, die alle zwei Jahre auf seinem Hof stattfinden. Als Mitglied der «Freunde alter Landmaschinen» besuchen dann Oldtimerfans aus der ganzen Schweiz das Dreschfest, es wird getanzt und ein Wettheizen durchgeführt, bei dem historische Traktoren mit einem Glühkopfmotor gestartet und über die Ziellinie gefahren werden müssen. Wie beurteilt Paul Gfeller die Entwicklung Rüfenachts? «Es hat früher einen grossen Zusammenhalt in Rüfenacht gegeben, allein die örtliche Feuerwehr hatte 90 Mitglieder! Man fuhr an die Hockey-Matches nach Bern und ging danach hier im Ort etwas trinken. Leider sind die Beizen geschlossen, man kann am Abend nicht mehr auswärts etwas trinken, das ist sehr schade. Auch für uns Bauern ist alles anders, die frühere Freiheit gibt es nicht mehr. Wir haben produziert, um die Bevölkerung zu ernähren, doch heute sind Bürokratie und Auflagen riesig geworden, das bereitet mir Mühe. Der zusätzliche Druck aus dem Ausland verstärkt die Entwicklung. Aber wir werden sehen, vielleicht entsteht mit dem neuen Dorfplatz in Rüfenacht doch wieder etwas Neues.» KS

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