«Ob das Bild stimmt, dass Architekten gern mit schwarzen Rollkragen-Pullovern rumlaufen? Selbstverständlich. Schwarz gekleidet, das habe sogar ich als Archtektin so gehandhabt. Die Männer trugen zusätzlich oft ein Halstuch, die Frauen einen asymmetrischen Haarschnitt. Als weibliche Auflehnung gegen die Uniformiertheit, sagte mal eine. Nach meiner Pensionierung staunten sie in meinem Umfeld: ‹D Heide het öppis Farbigs a!› Ja, ich habe gern Farben – speziell gelb, goldgelb. Wenn Sie die Wand meines Wohnzimmers ansehen, weiss man, was ich meine.
Etwas unter Hochdruck machen – diese Zeiten habe ich hinter mir, da bin ich nicht mehr willens. Langweilig wird mir im Alltag nie, ich reflektiere zwar viel, aber meistens allein auf Spaziergängen. Über die Corona-Diskussionen reflektiere ich nicht, denn im Kern der Dinge ist es immer das Gleiche. Viele Leute sind immer gegen etwas, und viele Leute sind für etwas.
Lebensqualität ist für mich die unerhörte Freiheit des Pensioniertseins. Dass mir der Sprung gelang, hat damit zu tun, dass ich mich vorbereitet habe. Pensionierung heisst nicht, durch eine Tür zu laufen und dann sagen ‹Jitz bin i da.› Ich hatte mein Arbeitspensum bereits vorher reduziert und bin in dieser Zeit in eine neue Wohnung gezogen, in die Grossprojekte der Firma wurde ich nicht mehr involviert. Ich empfand dies nicht als Herabstufung, sondern als grosse Unterstützung.
In den letzten fünf Monaten traf ich voller Freude ehemalige Arbeitskolleginnen, ohne dass ich dabei mein altes Leben vermisst hätte. Immer wieder bin ich erstaunt, wie mir dieser Schritt gelungen ist. Gerade weil ich nicht nur Architektin war, sondern mich immer noch als solche sehe. Und selbst wenn ich innerlich immer noch eine Architektin und das Planen gewohnt bin, mache ich mir keine Pläne, was die Zukunft betrifft. Ich überlasse es dem Zufall, ob er für mich noch etwas parat hat. Das Leben lässt sich nur schwer planen.
Damit ich etwas anpacke, brauchte es eine gute Idee. Und gute Ideen entstehen bei mir aus etwas, das mich ärgert. Zum Beispiel viel Asphalt bei Dorfstrassen, zu graue Orte. Jetzt bin ich in einem Team, das in Worb solche Orte begrünt und pflegt. Es sind Nacht- und Nebelaktionen in der Öffentlichkeit, indem ich beim Hirschen eine kleine Grünfläche wässere oder wir beim Spitex-Brunnen einen Apfelbaum pflanzen. Oder wir platzieren irgendwo unser Bänkli, das übrigens rege benützt wird. Die Reaktionen der Leute sind schön, auch von solchen, die ich nicht kenne.
Im Radieslihof, wo ich ebenfalls im Einsatz bin, bezeichnen sie mich trotz meines Alters als ‹jungs Gmües›. Ein alter Hase bin ich, der im dortigen Team zum Nachwuchs zählt. Zum ersten Mal in meinem Leben pikkiere ich Kopfsalat, jäte Rüeblireihen aus, stecke Zwiebeln in den Boden. Es ist für mich spannend, eine neue Welt kennenzulernen. Ein körperlich anstrengendes Arbeiten, mit dem Bewusstsein dass es Leute gibt, die solche Arbeiten ein Leben lang machen.
Meine Feinmotorik nimmt ab, der Aufwand fürs Fitness nimmt zu. Die Tatsache, dass ich 64-jährig bin, kann ich nicht negieren. Gleichzeitig bin ich eine Vierzehnjährige, und ich sage es aus guten Gründen: Mit fünfzig erhielt ich die Diagnose Brustkrebs, stellte den Zähler auf null. Jetzt gelte ich als geheilt und ich sage mir, dass ich noch viel Zeit vor mir habe. Ich bin zufrieden, habe immer das gemacht, was ich wollte. Es wäre ja komisch, wenn ich nicht zufrieden wäre. Ds Läbe isch schön!»
Aufgezeichnet von
Bernhard Engler