Suche
Close this search box.

Vis-à-vis mit Pradeep Itty, Kultur-Begegner

«Letzten Sommer besuchte uns mein indischer Cousin mit seiner Frau, sie waren zum ersten Mal in Europa. Wir holten sie spät nachts mit dem Auto beim Bahnhof Worb SBB ab, fuhren zu uns nach Vielbringen. Am nächsten Morgen war mein Cousin völlig baff, dass rund um unser Haus noch andere Häuser waren. Er ging fest davon aus, dass wir völlig im ‹No man’s Land› lebten, da bei der Fahrt zu uns alles dunkel war, in den Wohnungen keine Lichter mehr brannten.

Der Kulturschock ging für ihn am Morgen gleich weiter. Ich sah bereits, dass ihm irgendwie unwohl war, er holte ein Gerät hervor und spielte ziemlich laute Musik ab. Die Ruhe bei uns war für die beiden Gäste unerträglich, weil die Inder Lärm gewohnt sind. Das ständige Hupen auf ihren Strassen, Lautsprecher von Tempeln oder Moscheen und unüberhörbare Gespräche auch in öffentlichen Verkehrsmitteln – dies macht Indien aus. Oasen der Ruhe in Indien finden? Inder finden die Ruhe in sich selbst.

Unseren indischen Gästen wollten wir dann Bern zeigen, wir stiegen in Worb ins blaue Bähnli und unterhielten uns über indische Politik, auch über Religion. Dass wir indische Christen sind und Bern besuchen, bekam eine mitfahrende Frau mit und bat uns, doch bei der Besichtigung des Bundeshauses für den Bundesrat zu beten, weil dieser nicht immer schlaue Dinge mache. Ich wollte bei ihr nachhaken, aber sie musste gehen, stieg aus, wir liefen in Bern später zum Bundeshaus, wo ich feststellte, dass unsere Gäste die Bähnli-Mitfahrerin ernst nahmen. Vor dem Bundeshaus hielten unser Cousin und seine Frau an, um für den Bundesrat zu beten …

Geboren bin ich in Südindien, und als ich anderthalbjährig war, zogen meine Eltern mit mir nach Genf. Mein Vater arbeitete dort beim Weltkirchenrat, meine Mutter war in Indien Geschichtsprofessorin und gab ihren Beruf auf, als ich auf die Welt kam. In der Schweiz studierte ich Landwirtschaft, meine langjährige Berufstätigkeit für DEZA-Projekte führte mich in viele Länder und ähnlich wie Diplomaten, blieben wir irgendwo vier Jahre am Stück. 

Äthiopien war für mich die vielleicht herausforderndste Destination, auch weil dort ein Diktator herrschte, Ausgangssperren bestanden. Da dieses Land, als einziges in Afrika, nie wirklich kolonialisiert war, blieb es sehr eigenständig, machte dadurch auch einen verschlossenen Eindruck. Die Gesichter der Bewohner der zahlreichen Bergvölker waren stets sehr ernst, währenddem die locker-fröhliche Rasta-Kultur das Land zum Mythos erhob.

Wenn ich alle drei Jahre nach Indien reise um meine Verwandten zu besuchen, habe ich keinen Kulturschock, aber gewisse Dinge fallen schon auf: In den Eisenbahnzügen wird Tee serviert, und dies geschah früher in Tontassen. Die Anweisung war immer, dass man diese zum Zugfenster hinauswirft, und auf und neben den Geleisen lagen dann Tassen. Immerhin, es lag bloss Ton auf der Erde. Als jedoch die Ton- durch Plastiktassen ersetzt wurden, blieb das Verhalten dasselbe. Ähnliches geschah, als früher auf den Strassen viele Gerichte in grossen Bananenblättern serviert wurden, wo man die letzten, ungegessenen Speisereste in diese Blätter eingehüllt hat und alles liegen liess. Das meiste wurde danach von Rindern und Kühen gefressen, heute liegt viel Plastik rundherum.

Letzten Dezember unternahm ich zum ersten Mal eine Indienreise zusammen mit meiner Schweizer Partnerin, und weil ich nicht den Reiseführer spielen wollte, wählten wir bewusst eine Gruppenreise. Danach besuchte ich allein meine indische Verwandtschaft. Es war nicht nur selbstverständlich rund zwanzig Besuche zu machen, es wäre geradezu eine Beleidigung gewesen, irgendwo zu essen und zu übernachten, um anderswo nur einen Tee zu trinken. 

Wenn es bei Indern ums Kochen und Bewirten geht, ist klar: Der Haushalt ist generell eine Frauendomäne, selbst wenn die Frau tagsüber arbeitet. Dies zieht sich, mit ganz wenigen Ausnahmen, durch alle Kasten und Gesellschaftsschichten hindurch. Als bei einem Essen wiederum mein Cousin und seine Frau dabei waren, hörten wir, wie sie den Verwandten von ihrer Reise in der Schweiz erzählten, unter anderem auch, dass sie bei uns im Garten grilliert und wir dabei Bier getrunken hätten. Aber dass wir zum Glück für unsere Körper auch Sport betreiben würden. Denn für Inder ist es nicht normal, zum Essen Alkohol zu trinken – und überhaupt, Alkohol trinkt man nicht. Auch ein ‹Prost!› oder ein ‹Guete Appetit!› kennt man in Indien nicht, man isst pragmatisch, steht nach dem Essen auf und geht.

Was das Essen bei uns betrifft, habe ich von einem Freund mal gehört: Rösti schätzen Inder durchaus, allerdings ist man ziemlich enttäuscht von Gschwellti. Einfach nur gekochte Kartoffeln, ohne viele feine Gewürze dazu? Aber bitte! Und ich selber gestehe, dass ich viel Zeit aufwende, meine Gerichte mit Saucen zu bereichern, und wenn diese zu scharf sein sollten, kann man individuell Joghurtsaucen beigeben.

Kulturelle Eigenarten, dort wie da. Aufregen, weil die SBB zehn Minuten Verspätung hat? Mein indischer Cousin traf wegen der Zugreise mit achtstündiger Verspätung zum indischen Familienfest ein. Die kulturellen Besonderheiten, die ich in der Schweiz sehr schätze, sind der Umgang mit der Natur, die Erhaltung der Landschaft, die Qualität des Wassers und der Unterhalt von alten Gebäuden. Zur Kultur zähle ich ebenso die hiesigen Wanderwege, ich bin in verschiedenen Wandergruppen, und ich denke auch an das Netz von Velowegen, das wir mit unseren E-Bikes befahren.

Velo in Indien? Keine gute Idee, abgesehen vom Verkehr gilt Velo als Symbol für Armut. Auf der Gruppenreise machte meine Schweizer Partnerin trotzdem an einem Veloausflug durch einen Stadtteil mit – sie kehrte leicht gestresst zurück. In diesem Zusammenhang fällt mir das berndeutsche Wort ein, das mir am meisten gefällt: Äuä.»

Aufgezeichnet von 
Bernhard Engler

Beitrag teilen:

Aktuelle Beiträge

In Rüfenacht steht ein weiteres Verdichtungsprojekt an. An der Hinterhausstrasse, wo heute noch das alte Aebersold Bauernhaus steht, soll eine Wohnüberüberbauung, bestehend aus vier Gebäuden, errichtet werden. Das dafür benötigte Areal wird von der Gemeinde gekauft und im Baurecht abgegeben.

Warning: Undefined array key "button_class" in /home/httpd/vhosts/aeschbacher.ch/worberpost.ch/wp-content/plugins/premium-addons-for-elementor/includes/class-premium-template-tags.php on line 1009

In unserem täglichen Leben, spielt das Virus, das die Welt von 2020 bis 2022 fest im Griff hatte, zum Glück keine grosse Rolle mehr. Um bei möglichen kommenden Krisen besser gerüstet zu sein, hat der Gemeinderat eine Befragung unter den Behörden und angeschlossenen Institutionen durchgeführt. Nun sollen organisationsübergreifende Konzepte erarbeitet werden, um die Handlungsfähigkeit auch im Krisenfall zu gewährleisten.

Warning: Undefined array key "button_class" in /home/httpd/vhosts/aeschbacher.ch/worberpost.ch/wp-content/plugins/premium-addons-for-elementor/includes/class-premium-template-tags.php on line 1009

Auf Basis von einer Umfrage wurden Velostrecken in der Gemeinde Worb überprüft. 48 Fahrverbote für Velos und E-Bikes, die aus Sicht des Gemeinderates unnötig sind, sollen nun schrittweise aufgehoben werden.

Warning: Undefined array key "button_class" in /home/httpd/vhosts/aeschbacher.ch/worberpost.ch/wp-content/plugins/premium-addons-for-elementor/includes/class-premium-template-tags.php on line 1009