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Vis-à-vis mit Hans Tschirren, Alt-Landwirt

«Alt-Landwirt? Gottfriedstutz, sage ich mir manchmal, bald werde ich siebzig. So schnell ging es. Gehts auch so schnell weiter?

Im Momänt isch’s gäbig. Mir ist nie langweilig, es gibt immer was zu tun. Selbst wenn ich Alt-Landwirt bin, helfe ich auf dem Hof noch aus, da und dort, dann oder dann, in Prozenten könnte ich meine Arbeitseinsätze nicht beschreiben und für meine Arbeiten will ich auch kein Geld, ich mache es zur Freude. Und meine Frau und ich können jederzeit sagen: Morn si mir de nid da.

Seit vier Jahren wohnen wir im Stöckli. Wir hatten genug Zeit, uns an den Schritt mit der Übergabe des Hofes zu gewöhnen. Ihn übernahm der jüngste Sohn, der mittlere ist Bauer in Heiligenschwendi, der älteste arbeitet bei einer Landi und auch die Tochter hat mit Landwirtschaft zu tun – sie ist mit einem Bauer verheiratet. Der Zeitpunkt der Ablösung kam im richtigen Moment, ich merkte in meinem Berufsalltag, wie ich schneller müde wurde, auch ein bisschen gleichgültiger. Das Futter parat machen erst am Morgen, anstatt am Vorabend. Beim Zvieri etwas länger sitzenbleiben. 

Eine gewisse Gelassenheit hat mich allerdings schon immer ausgezeichnet. Ich war nie einer, der am Morgen extra früh aufgestanden wäre. Die Milchabgabezeit bei der Käserei gab zwar den Fahrplan vor, aber i ha immer gminütelet. Sie hei mi hie ume als dä kennt. Zeit gelassen habe ich nicht nur mir selbst, sondern auch dem Heu, bis es trocknete, und ich habe das Getreide immer erst dann getröscht, wenn wirklich Zeit dafür war. Zum Säen wartete ich im Herbst länger als die meisten anderen, bis der nasse Boden trocken war.

Vielleicht denkt man jetzt, dass ich eher ein Konservativer bin, aber ich bin nicht so einer, der den guten alten Zeiten nachtrauert. Was mich wirklich stört, ist das Extreme, egal ob es in der Gegenwart stattfindet oder Teil meiner Vergangenheit war. In der heutigen Zeit stört mich, wenn alle am Handy sind oder im Internet surfen und sich dann gegen den Ausbau von Sendeantennen wehren. Oder wenn man sich für gut gemeinte Anliegen auf den Boden klebt. Wenn jede Freizeit-Minute mit etwas ausgefüllt werden muss. 

Das Extreme stört mich und gleichzeitig war ich früher, aus den Augen von anderen, wohl ebenfalls ein Ex­tremist. Zum Beispiel als ich dafür plädierte, für gewisse Arbeiten auf dem Feld nicht zwei Pferde zu benützen, sondern den Kauf eines Traktors forderte. Ich war stets tendentiell für den Fortschritt und finde es einen Segen, wenn das Melken der Kühe mit einem Roboter geschieht. Und ich erinnere mich noch genau, als ich Rechnungsführer bei der Genossenschaft der Chäsi Worb war und wir auf Computer umstellten. Erfreut stellte ich fest: Ou, das rächnet ja sälber zäme!

Unseren Hof gibt es seit 1737, seit 1953 ist er in Familienbesitz. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir im Gjätt wohnen. Aber ein bisschen abseits des Dorfkerns von Enggistein, das schon, und wir geniessen es, hier ein bisschen für uns zu sein. Wenn man unsere Adresse im Internet sucht, öffnet sich gleichzeitig eine Karte mit dem Standort, wo die Bezeichnung ‹Gagel­ööli› steht. Der Begriff stammt von Galgenöle ab, weil hier in frühen Zeiten auf einem kleinen Hügel ein Galgen stand. ‹Betrieben› wurde er von der Herrschaft Worb, und zwar nicht um geschlachtete Kühe aufzuhängen. Gleich neben dem Ort stand ein altes Bauernhaus, das als Schreiberstube diente, und dort wurde über die Hinrichtungen Buch geführt. Aber woher das ‹Öle› kommt, weiss ich nicht.

Mein Grossvater wollte Bauer sein, mein Vater musste Bauer sein, und ich wollte wiederum. Aber nicht so wie der Grossvater. Dieser machte die Arbeit sicher prima, war aber verbissen und nur seine Meinung zählte. Und ich wollte auch nicht wie der Vater sein, der, wenn bei meinen Arbeiten etwas schief lief, oft ein ‹I ha das ja gseh cho› hinterherschob – als junger Landwirt brachte mich dies jeweils auf die Palme. Mein Sohn beschäftigt heute einen Lehrling, und ich darf sagen: Es geht stets weiter, und es geht gut. Die junge Lüt si super!»

Aufgezeichnet von 
Bernhard Engler

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