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Vis-à-vis mit Josef Preller, Zeit-Zeuge

«Wir lebten in der damaligen Tschechoslowakei ganz normal. Mein Vater – obwohl er studiert hatte und mehrere Sprachen beherrschte – arbeitete in einer Fabrik, was noch dem russischen Unterdrückungsapparat in den Ostblockstaaten geschuldet war. Die zunehmende politische Befreiung vom sowjetischen Regime war jedoch spürbar, mein Vater erkundigte durch ein paar Reisen bereits den Westen, und so verbrachten wir einen Urlaub auf einem Zeltplatz in der Nähe von Venedig. Dort erlebten wir den 21. August 1968.

Unser Vater schritt ganz aufgeregt zu uns, in der Hand ein Radio, das uns mitteilte: Die Russen sind in unser Land einmarschiert. Prag war bereits besetzt, unser Haus lag bloss hundert Kilometer nördlich, in einem Dorf ähnlich gross wie Worb. Wie weiter, jetzt in Italien? Für meinen Vater war klar: ‹Ich gehe nicht mehr zurück!› Als gebildeter Bürger wäre er nicht mehr in der Fabrik, sondern direkt im Gefängnis gelandet. Die Mutter war in ihren Gefühlen ambivalent, sie hatte schliesslich ebenfalls eine Stelle, verdiente gleichviel wie der Vater. Wobei dahinter mehr ein System der Gleichschaltung statt einer Gleichstellung steckte.

Der Entscheid, nicht mehr in die Heimat zurückzukehren, wurde trotzdem gefällt und die Schweiz als Destination auserwählt, zumal das Land eine magnetische Wirkung hatte. Die italienischen Carabinieri halfen, wo sie konnten, mit Essen, Unterkünften, Hinweisen zu Reisemöglichkeiten. Einfach so schwarz über die Grenze zu gelangen, lag nicht im Wesen meines Vaters, er war kein Abenteurer. Die Schweizer Botschaft in Italien konnte ihrerseits nur ein Transitvisum erteilen, für eine Heimfahrt in die Tschechoslowakei via Schweiz und Deutschland. Kurz später fuhren wir mit dem Auto über den Gotthard nach Zürich und wurden dort mit offenen Armen empfangen.

Die Schweiz hatte riesige Sympathien für uns Tschechen, sie jubelten uns zu, sobald wir vor einem Rotlicht oder auf einem Parkplatz anhielten, immer wieder wurden uns Geldscheine durchs Autofenster in den Wagen geschoben. Wir meldeten uns bei der Fremdenpolizei und sahen, dass auch hier die Behörden für uns alles taten. Innerhalb eines Tages erhielten wir eine Wohnung in einem Studentenheim, am nächsten Tag begann die Arbeitssuche und nach vier Tagen hatten sowohl der Vater wie die Mutter eine Stelle.

Doch was geschah mit uns Kindern? Meine Schwestern wollten zurück in unser Land, die eine hatte eine Stelle als Lehrerin, die andere war im Studium. Anfangs September folgte der schmerzliche Entscheid, dass sich die Familie aufspalten musste. Die Mutter und wir Kinder kehrten in die Heimat zurück. Dass jetzt alles anders war, sah man bereits an der Grenze, Panzer und Soldaten dominierten das Bild, und die ersten Verhöre begannen: ‹Wo ist ihr Vater›? ‹Wo ist ihr Vater›? Ich war damals ein 11-jähriger Knopf, jetzt ohne Vater, liess mit mir machen, was gemacht wurde, machte auch mit, ohne die Zukunft zu sehen.

Das Leben in der Tschechoslowakei wurde schwierig, meine Schwestern durften weiter arbeiten und studieren, wenn auch unter scharfem Blick der Geheimpolizei. Der Mutter wurde gekündigt. Von Zürich aus organisierte mein Vater die erneute Flucht, diesmal nur von meiner Mutter und mir. Im Dezember gelang sie uns, indem wir den Behörden eine Ferienreise nach Bulgarien vorschoben, die damals per Zug über Jugoslawien führte. Wir stiegen dort in einen Zug nach Österreich um, wo wir – erstaunlicherweise – für dieses Land bereits in deren Botschaft in der Tschechoslowakei ein Visum erhalten hatten. Irgendeine Überwachungsperson hatte wohl geschlafen. Meine Schwestern hielten bis zuletzt dicht, als die Geheimpolizei sie noch und noch nach unserem Fluchtweg befragte.

Erneut in Zürich, wurde ich einer Schule zugewiesen, die gleich eine Tschechenklasse eröffnete. Der Deutschunterricht stand natürlich im Vordergrund, und damit wurde auch Rechnen, Geografie und die restlichen Fächer in deutsch unterrichtet. Bereits nach sechs Monaten konnte ich in eine Regelklasse wechseln, danach folgten Sek., Gymi, Studium der Veterinärmedizin.

Heute bin ich Tierarzt, arbeite seit 1988 in meiner Praxis in Worb. Ein halbes Ausland, wenn ich mit meiner Zürcher Zeit vergleiche. Nachwievor sage ich stets ‹Grüezi›, das ‹Grüessech› kommt mir einfach nicht gut über die Lippen, ich hab’s schon oft probiert. Meine Eltern sind inzwischen im Himmel, meine beiden Schwestern noch immer in der Tschechei. Ich besuche sie jedes Jahr für zwei bis drei Wochen, leben möchte ich dort nicht mehr unbedingt. Aber ich möchte in meinem Heimatland begraben werden. Es isch immer no mis Dihäi.»

Aufgezeichnet von 
Bernhard Engler

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